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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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einmal ein Pfund Tabak konnte sie dabei gewinnen, und die Kleider von der Frau Kliefoth mochte sie nicht. Also hatte sie ein paar Kochtöpfe und das Eigentum an einem von den siebentürigen Schränken genommen. Sie brauchte nicht Schrank nicht Töpfe, es sollte nur der Anschein eines Handels entstehen, so genierlich er war. Und das ältliche Fräulein sorgte sich, unverhofft nackt dazustehen vor dem Tode. Ihr Sarg war nicht einer, den Kliefoth freiwillig ausgesucht hätte.
    Sie kamen auf den Markt, der Junge hörte auf zu schieben. Kliefoth sah über den Platz nach Süden. Da war der Alte Friedhof. Die Sonne war längst zu hoch, heimlich kam er nicht mehr zur Grabstelle Kliefoth. – Man tau! sagte Kliefoth, und drückte den Sarg ein wenig nach links, in die Richtung der Chaussee nach Rande. Der Junge setzte noch einmal ab und spuckte sich in die Hände.
    Bis zum Neuen Friedhof brauchten sie eine halbe Stunde. Kliefoth mußte ja seinen letzten heilen Anzug tragen, etwas zu hell grau, wenigstens mit einer schwarzen Binde, das war keine Kleidung zum Arbeiten, und er keuchte bald. Es geht bergauf dahin. Der Junge sah ihn nicht an, wenn sie eine Pause machten. Zwölf Jahre mochte er sein. Es war Gabriel Manfras, der maulfaule Kerl, und wenn er später von diesem Morgen sprach als einem gewöhnlichen, so war er fast umgekommen vor Angst. Kliefoth betrug sich ja, als sei er nicht bei sich.
    Der Neue Friedhof war damals bloß ein offenes Feld. Da und dort lag ein einzelner Grabhügel, die meisten Spuren waren breit, nicht säuberlich aufgeschüttet, gewiß nicht mit Blumen belegt. An einer solchen breiten Grube, noch halb offen, hielten sie an. Sie war auf Vorrat gegraben, jedoch für Tote ohne Särge. Die neuen Trauergäste hätten nun ein Ende des Loches mit dem Spaten ausweiten müssen. Den Spaten hatte Kliefoth vergessen, und der Junge war froh, zurücklaufen zu dürfen.
    Kliefoth saß eine Weile neben seinem Sarg. Von der Straße hätte man ihn nicht sehen können, erst als er anfing, in der Erde zu stochern. Offenbar wollte er ein privates Loch ausheben. Als der Junge mit dem Spaten kam, sah er noch die Spuren der Gummiräder. Sie führten wieder auf die Rander Chaussee hinaus. Da gab es nicht so bald einen Friedhof.
    Das sowjetische Kommando in der Torwache des ehemaligen Flughafens hielt ihn auf, fragte nach Kennkarte, Propusk. Daran hatte Kliefoth gestern noch nicht denken müssen. Er war jetzt aber auf halbem Wege nach Rande, es war doch der richtige. Gabriel Manfras hatte ihn nun eingeholt. Dem Jungen kam der Lehrer fiebrig vor. Kliefoth legte vor den Augen des Wachhabenden die Hand flach auf den Sargdeckel, drehte sie lahm auf den Rücken um. Dem Offizier war solch Transport an dieser Straße noch nicht vorgekommen, er seufzte über diese verrückten Deutschen. Er zeigte zur Stadt hin, zum Neuen Friedhof. Kliefoth wies in Richtung Rande, zur See. Der Junge redete nun auch ein wenig, nur damit sie rasch fortkamen. Er fürchtete, die Sowjets würden den Sarg öffnen, er wollte das nicht sehen. Die Sowjets ließen Kliefoth ziehen mit dem Bescheid, er möge seine Mutter ficken, und der Offizier klopfte ihm mehrmals auf die Schulter.
    In Rande saß der Junge den halben Tag neben dem Sarg, in einem Seitenweg nahe der Landungsbrücke. Sie hatten den Kasten heruntergenommen, da er sich auf dem kippligen Karren nicht gehalten hätte, und ihn in den Heckenschatten gestellt. Er stand da im Sand wie ein vergessenes Möbelstück.
    Inzwischen verhandelte Kliefoth mit einem Fischer nach dem anderen. Er wollte nichts als eine Überfahrt zur Insel Poel, nach Kirchdorf, zur Not durfte es auch Timmendorf sein. Von da wollte er wohl weiterkommen. Danach fragten die Fischer nicht. Sie wollten wissen, was Kliefoth zu bieten hatte.
    Kliefoth hatte einstweilen nichts zu bieten.
    Sie kannten ihn wohl, er war mal ein großes Tier bei der Wehrmacht gewesen und Oberlehrer in Gneez, gewiß. Sie kannten seine Frau auch, er war mit ihr auf der Promenade spazieren gegangen, hatte mit ihr auf der Terrasse des Hotels Erbgroßherzog gesessen. Das war es nicht. Aber die Ostsee, so blank und kleinrifflig sie dalag, war doch ein gefährliches Meer heutzutage. Am Strand lagen die sowjetischen Posten, die wollten einen Propusk sehen. Den hatte Kliefoth nicht. Auf See, mit einem Sarg an Bord, einem sowjetischen Schnellboot begegnen. Mit einem deutschen Oberstleutnant an Bord. Und es konnte vier Stunden dauern bis nach Kirchdorf. Da mußte ein Boot so

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