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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Geheimnissen aus der Zeit des Krieges. Sie führte ihn ungesehen in Cresspahls Büro und fing gleich an, auf die Felder zu laufen; den konnte sie nicht mitnehmen durch Jerichow.
    Das war eines der wenigen Male, da Cresspahl sich betrug wie der Herr im Haus und bei Frau Abs das Abendessen auf seine Stube bestellte; er wollte von solchem Besuch keine Viertelstunde verlieren. Dann wurde Gesine noch nach einer Flasche von Jakobs Handelsware geschickt, und als sie zur Schlafenszeit in ihr Zimmer gehen wollte, zog Erwin Plath sie auf einen Stuhl mit der ernsthaften Begründung, er müsse sie noch ein wenig ansehen. Cresspahl betrachtete sein Kind zweifelnd, die Augen an eine Erinnerung verloren, er schickte sie nicht ins Bett, auch Hanna nicht. Die Kinder sahen den Erwachsenen zu, die das Wiedersehen begingen wie Kinder, eifrig, ohne Mißtrauen, einer am anderen vergnügt, immer von neuem vorfreudig, und immer noch einmal erzählten sie einander, wie es gewesen war. Dann kam Cresspahl mit seiner Frage.
    Plath fing zu nicken an, er zog aber die Lippen von den Zähnen weg, als habe er auf etwas Faules gebissen. Er war nicht mehr in Lübeck, ihn hatte es nach Itzehoe verschlagen. Über den Umzug ließ er sich nicht genau aus, auch nicht über seine neuen Geschäfte an der Stör, um so lieber über die Briten. Offenbar nahmen die sich nicht so in acht in einem besetzten Gebiet, wo sie den sowjetischen Waffenbrüdern keinen schädlichen Leumund hinterlassen wollten. Cresspahl kannte die Kasernen von Itzehoe, die Gudewill, die Waldersee, die Gallwitz am Langen Peter, und die Hanseaten am Friedhof? Die kannte Cresspahl. In denen saßen die Briten, es war ihnen lange nicht genug Raum. Ende Mai hatten sie das beste Wohnviertel in Sude beschlagnahmt, 95 Häuser, meist modern eingerichtete Villen; drei Stunden gaben sie den Bewohnern, nur Wertsachen, Wäsche und Bettzeug hatten sie mitnehmen dürfen. Jetzt saßen in solchem Haus englische Familien mit ein bis zwei Kindern, die Deutschen waren in die letzten Bodenkammern, Verschläge, ja in die Keller gestopft. Und Cresspahl wußte wohl von Itzehoes Kanalisation. Daß es keine gab. Ja. Die Militärregierung hatte ein versiegeltes Zimmer je Haus zum Unterstellen von Sachen erlaubt; die Sachen fanden sich an auf dem Schwarzen Markt, das war also der Respekt der Briten vor Siegeln. Sie saßen im Hammonia-Hotel am Holzkamp, der Viehmarkthalle, in beiden Kinos, sie hatten die Sportplätze für sich allein genommen. Von dem requirierten Wohnraum stand viel leer, sie behielten ihn doch. Sude war Sperrgebiet für Deutsche, wenn sie da nicht arbeiteten. Eines Morgens kommt der Bürgermeister in sein Amtszimmer und findet seinen Schreibtisch nicht mehr und nichts von der Einrichtung, die hat das Besatzungsamt geholt. Die Briten gingen auch privat auf Razzien, die holten sich aus den deutschen Quartieren Möbelstücke, Bilder, Rundfunkgeräte, Fotoapparate, Briefmarkensammlungen und sonst Kriegswichtiges, die versteckten sich nicht einmal hinter einem Befehl. Die fuhren mit ihren Jeeps durch Itzehoe wie die Wilden, auf Tote kam es ihnen nicht an. Eine Division hieß die Wüstenratten, die saß in der Hanseaten-Kaserne, die nannten sie »Richmond-Barracks«. Wüstenratten.
    Hanna fragte nach den Netzwerken, da war ihre Verwandtschaft bekannt. Plath kannte die, die warteten noch am Gaswerk, die hatten keine Rohstoffe, die lieferten nicht. Hanna bedankte sich eingeschüchtert; sie suchte noch nach einem anderen Platz für sich als Jerichow, nun war wieder einer verloren.
    – Richmond-Barracks: sagte Cresspahl, ratlos, er meinte aber das britische Benehmen.
    Plath winkte das weg, mit einem Mal auf das Geschäftliche bedacht. Er war nicht wegen der Briten gekommen. Cresspahl hatte doch so einen Befehl, Parteien zu gründen. Die Briten erlaubten so etwas nicht. Sieh an, die Sowjets.
    – Ja-nein: sagte Cresspahl, nicht ganz ruhigen Gewissens. Das war ein Befehl K. A. Pontijs, der ihm aus den Augen geraten war. Der Herr Stadtkommandant verlangte eine Ortsgruppe der Sozialdemokraten, eine der Christlichen Union zur Demokratie, und eine kommunistische. Cresspahl konnte doch nicht vorgehen wie bei der Erschaffung der Welt, und Parteien machen in Jerichow.
    Nun weckte Plath die schläfrigen Kinder, indem er von ihnen Abschied nahm. Er leitete sie in die Schlafkammer wie Schafe, so fürsorglich, sie merkten es kaum, und sagte beiden noch etwas Hübsches über ihr Haar. Als er zu Cresspahl zurückgegangen

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