Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
dem Stövchen, zwei Gedecke sind gelegt, zwei Eier warten unter ihren Mützen, nur die Servietten sind noch leer. Die New York Times ist da, und wer fehlt, ist Marie, selbst eine Nachricht von ihr. Die junge Dame ist aus zu einem heimlichen Gang.
Edward G. Ash junior aus Willingboro in New Jersey, von der Armee, und David A. Pearson aus Tonawanda im Staat New York, Feuerwehrmann bei der Marine, werden gemeldet als getötet in Viet Nam.
Die britischen Kommunisten drücken sich um einen Tadel am großen sowjetischen Bruder, aber sie stellen sich hin und finden es dufte, wie die tschechoslowakische Partei aufräumt mit dem »Unrecht der Vergangenheit«, wie sie besteht auf sozialistischer Demokratie, und was reichen sie nach? »Nur das tschechische Volk und seine kommunistische Partei können bestimmen, wie sie ihre inneren Schwierigkeiten angehen.« Das sind schon einmal (abgerechnet die Enthaltungen) 32 562 Leute in Großbritannien.
Antonio (Tony Duckdich) Corallo von der Mafia, es hat ihn erwischt im Bundesgerichtshof am Foley Square. Für versuchte Bestechung eines Menschen bei den Wasserwerken: drei Jahre Gefängnis. Aber die Höchststrafe wäre gewesen fünf Jahre, samt einer Geldbuße von $ 10 000. Nun, bei guter Führung …
Ein vierunddreißigjähriger Mann aus Astoria (fast hätten wir da mal gewohnt), Wladimir Vorlicek betrat gestern die Waffenabteilung von Abercrombie und Fitch, kaufte für $ 5.50 Schrotpatronen, lud heimlich eine Flinte, offenbar liegt dergleichen da ungesichert rum, und schoß sich in den Kopf. Er war binnen letzten Jahres als Flüchtling angekommen, aus der Tschechoslowakei. Das wäre schon einmal einer.
– Guten Morgen, Marie! Was haben wir für ein schönes Kind! Bist du zu Besuch? was für einen vornehmen Hänger du anhast, blau und weiße Streifen, zu blonden Zöpfen, Seidenbänder auf den nackten Schultern! Gindegant!
– Guten Morgen, Gesine.
– Du bist bedrückt, junge Frau.
– Siehst du doch.
– Hier soll aber keiner bedrückt sein! Es ist ein Tag ohne Arbeit, die Sonne ist draußen, wir können gleich auf die South Ferry! Sag an, Marie.
– Es ist … du nimmst manchmal gern hartgekochte Eier zum Frühstück, Gesine. Wenn sie eine Nacht kaltgestellt waren.
– Meinetwegen. Heut kann ich sie entbehren.
– Ich wollte gestern welche vorbereiten für dich, und als sie eine Weile auf dem Feuer waren, fing ich an zu lesen, und mit dem Buch vorm Kopf ging ich weg in mein Zimmer. Dann gab es einen Knall, und ich dachte an den kaputten Auspuff von Robinson Adlerauges Klapperkiste. Als ich endlich den Gestank spürte, war die Saucenpfanne verschmort auf dem Gas und die Eier rundherum explodiert. Bis an die Decke.
– Hast du aber gut hingekriegt mit dem Saubermachen.
– Danke.
– Soll demnach Deutsch die Sprache des Tages sein?
– O. K.
– Dann mußt du sagen: Stielkasserolle, selbst wenn das hiesige Volk von einer Pfanne phantasiert. Oh, entschuldige! Versógelicke.
– Hier. Die ähnlichste … Kasserolle, die ich finden konnte auf dem Broadway. Auch Aluminium. Von meinem Gelde.
– Die alte war längst verbraucht. Nach vier Jahren abzuschreiben. Sag mal, Kommilitonin, möchtest du gern eine Vorlesung über Abschreibungsrecht? Die Haushaltskasse erwägt, billigt und stiftet.
– Die Hälfte.
– Die Hälfte. So lach doch! Die Blamierte bin doch ich, mit meinem Geruchssinn! Gebackener Blumenkohl!
– Das ist, ich fürchte, Madame, Mrs. Cresspahl, ein Zeichen bevorstehenden Alters.
– Wird es ein Tag der South Ferry, Marie?
– Ich zöge einen brunch vor. Das Tonband ist gesattelt, Toast kommt gleich, auch Zitrone zum Tee.
– Gesetzt, posito, wir hätten einen Gast aus der unwissenden Wildernis, sagen wir aus Düsseldorf: wie übersetzten wir ihm das?
– Breakfast und lunch in einem. Ausgiebiges … Mittagsfrühstück. Gabelfrühstück!
– Statt Fisch mit dem Löffel und Rührei mit der Zange.
– Und was nimmst du so für eine Stunde Unterricht in Deutsch?
– In »Gegenwartskunde«. Ich nehme eine insalata di pomodori e cipolle. Puoi condirla?
– Coming up! Coming up!
– Gegenwartskunde, das war ein Neues Fach, insofern es bei den Nazis geheißen hätte »Weltanschauliche Erziehung«, und geboten wurde es der Zehn A Zwei des Jahrgangs 1949/50 von einem neuen Vorstand der Fritz Reuter-Oberschule, einer Frau Selbich, kaum über die Zwanzig wie wir gehört hatten, kommissarische Leiterin. Wenn sie aus war auf Bestätigung im Amt, konnte
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