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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Manhattan, zum Einkaufen. Plötzlich, sieh an, fällt ihr ein, sich mit ihrem Mann zum Mittagessen zu verabreden. Versucht die Telefonzelle an der Südwestecke der 62. und Madison Avenue. Ihr Zehner kommt zurück, kein Amtszeichen. Marschiert sie auf der Madison zwölf Blocks nach Norden, bemüht sich an sieben öffentlichen Sprechstellen, der achten fehlt sogar die Wählscheibe. Um drei Zehner ärmer ist sie.
    Aber das Haustelefon der Bank gehorcht einmal. Prompt auf Verlangen schickte Sam aus seinem Keller ein warmes Schinkenbrot mit Tee durch einen Boten, der die Tüte wie erbeten schweigend abstellte auf dem Stuhl neben der Tür. Der verstand den da bereit liegenden Zehner auch so.
    Und auch im internationalen Verkehr steht es leidlich. Gegen Ende der Reinschrift meldet sich das Stafford Hotel, London, und ob wir wohl so gut wären? Versteht sich, und am anderen Ende zur englischen Schlafenszeit meldet sich de Rosny, ein Vizepräsident, will selber nachsehen.
     
    – Immer fleißig, meine gute Frau Cresspahl? spricht de Rosny. Der macht einen Briten nach. Nein, der macht einem Geschäftsfreund vor: KönnSe ma sehn, wie ick meine Leute anner Strippe habe!
    – Aber gewiß doch: erwidert die Angestellte Cresspahl in New York, einer Scham bar.
    – Tisch voll? de Rosny übertreibt es mit der Intonation der Public Schools.
    – Nahezu klar. Bin beim Aufräumen. Sir.
    – So vor der großen Reise, nicha?
     
    Was wir auch hatten vergessen wollen.
     
    – Kenne ich diese … Person? will Marie wissen am Riverside Drive. Wäre sie älter als ihre stolzen elf, ihr Blick müßte fürsorglich genannt werden. Schneidet die Mutter sich am Ende ins eigene Fleisch? Zwar sitzt sie da und macht den mecklenburgischen Ossenkopp, beide Fäuste gegen die Schläfen. Reißt die Mutter sich etwas aus, das sie ärgert, und am Ende ist es ein Stück vom Auge?
    – Das Jahr vergeß ich. Du warst achteinhalb. Da waren wir zu Besuch in … einem sozialistischen Land, hatten Anita treffen wollen, stießen statt ihrer auf diese Person und feierten, daß … ihr nun wenigstens Reisen in Richtung … Osten erlaubt waren.
    – Und es war diese Person, mit der du da an einem öffentlichen Platz gesungen hast?
    – Der Wein war stark, Marie.
    – »Marmor, Stein und Eisen bricht«?
    – Du hast dich erbärmlich geschämt für deine Mutter.
    – Das war Neid. Einfach lossingen, bloß weil einem so zumute ist, dazu braucht es doch Mut.
    – Which you did solely to keep New York clean.
    – »Aber unsere Lie-hie-be nicht«?
    – Da hatte er mal so eine Einbildung, 1955.
    – Ist es dennoch diese Person, mit der du –
    – Ja sei vorsichtig!
    – auch anderswo gereist bist, vor meiner Zeit?
    – Wir erklären uns für unschuldig, Euer Ehren.
    – Und warum ist der Sozialismus böse auf Privatdrucke in einem N. S. W.?
    – Weil seine Verwalter eine unglückliche Liebe haben zum Prinzip des Archivs.
    – Wer besorgt dir solche Post? Anita? Günter Niebuhr?
    – Da sind wir überfragt, Euer Ehren.
    – So entläßt du Leute aus deinem Leben?
    – So schicke ich sie raus, und Glück auf die Reise.
    – Damit ich das lerne.
    – Damit du Bescheid weißt. Seit wann riecht es bei uns am frühen Abend, bei offenen Fenstern nach gebackenem Blumenkohl? Hast du gekocht? Die Semmelbrösel sind dabei, Parmesan hängt in der Luft.
    – Das … Gesine, das ist ein Geheimnis. Ich sag’s dir morgen.
    – Ich bin viel zu müde zum Essen. Ist es dir recht, wenn ich mich gleich hinlege? Wenn du mich erst um zehn Uhr morgen weckst?
    – Du schläfst wie du Lust hast, Gesine.
    27. Juli, 1968 Sonnabend
    Aufgewacht von der Stille, die war geräumig, sie enthielt Vogelgesang. Der Schlaf hat die Nacht hindurch gewußt, dem Wecker ist das Maul gestopft, und bestimmte die Zeit als jene, da ist der Aufmarsch der Autos auf dem Riverside Drive passiert, da werden die ersten Kinder in den Park geleitet. Der Traum führte eine Walddrossel vor, zeigte eine Wanderdrossel, verstieg sich zu einer Prachtmeise; alle verworfen. Denn die sind inzwischen beschäftigt mit dem Ausbessern des Nests, dem Aufziehen der Nachkommenschaft. Der da sang war ein Zaunkönig. Ein fröhlicher König auf den Gittern des Parks jenseits der heißen stillen Fahrbahn, im angewärmten Schatten der stattlichen hickories … der Walnußbäume, im Traum anwesend wie ein Öldruck in Pagenkopfs Flur. Freiwillig aufgewacht.
    Ein viertel vor Zehn, und begrüßt vom Gerüst eines Frühstücks: der Tee wartet auf

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