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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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That a watch might be kept on her!
    Dagegen gibt es ein Mittel. Was alles bedeutet im Tschechischen das Wort hrozný? furchtbar, schrecklich, gräßlich, entsetzlich, schauerlich, grauenhaft, grauenvoll. Und nach welchem Personennamen klingt hrozný? Hrozná doba, die Schreckenszeit. Hrozná bída, namenloses Elend. Hrozná zima, furchtbare Kälte. Hrozné počasí, schauderhaftes Wetter.
    Sobald sie angelangt ist bei »to jsou plané hrozby«, »das sind nur Schreckschüsse«, kann sie ohne Wut denken und anlangen bei der Vermutung, es könne jemand ihr Zimmer Büro betreten haben und im Tageskalender nachgesehen. Da steht es: die Uhrzeit, der Name des Bazars. In was für einer Zeit war sie unterwegs? in der, die sie an die Bank vermietet hat. Was hat sie getan in selbiger Zeit? Koffer gekauft für eine Reise im Auftrag der Bank, für die sie obendrein wird entschädigt werden, so spricht Anita. Anita, so gefügig wird als Angestellter der Mensch.
     
    V .
    Die Nummer war »gut«, erfreulich, untergebracht an der Park Avenue in den dreißiger Straßen, in einer Anwaltspraxis. Wir kennen Mr. Josephberg von den Gesellschaften, die die Gräfin Albert Seydlitz gibt; ein Mensch, mit dem man weggehen kann in eine Ecke und Deutsch sprechen, über den Herrn Tucholsky, den er in Berlin beraten hat, über Tilla Durieux, die leider immer andere Leute heiratete als Herrn Josephberg. Den Mimen, die Nachwelt flechtet ihnen Kränze. Dann hörte D. E. den Namen und machte uns noch anders bekannt: dieser Mensch, von Adel durch Emigration in der ersten Stunde, Februar 1933, er ist D. E.s Rechtsanwalt. Seitdem ist er der unsere auch. Wo D. E. traut, dem trauen wir.
    – Ist es fertig: fragt Mrs. Cresspahl in einer Telefonzelle des Postamtes Grand Central, is it ready now, und soll sie etwa gleich kommen? – Mr. Josephberg requests your presence urgently: bestätigt seine Sekretärin förmlich, als seien ihr meine Auftritte mit Marie in ihrem Vorzimmer entfallen. Oder sollte es Ironie sein? weil man doch zugegen sein muß beim Unterschreiben? Das ist ein Klacks mit der Bahn unter der Lexington Avenue. Auch die Sache ist gut. Seit Anita mir erzählt hat von einer amerikanischen Schule im Süden Westberlins, haben wir einen Zusatz gebaut zu dem Testament Cresspahl.
    Wer eine Reise unternimmt, er soll einen Letzten Willen hinterlassen. Hiermit übertrage ich das Eigentum an meinem gesamten Besitz meiner Tochter Marie Cresspahl, geboren am 21. Juli 1957 in Düsseldorf als Tochter des Eisenbahninspektors Jakob Wilhelm Joachim Abs. Die Nummer meiner Sterbeversicherungspolice lautet. Marie ist gebeten, von den mecklenburgischen Büchern jene mit einem Druckvermerk vor 1952 aufzuheben bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Das Erziehungsrecht übertrage ich auf Mrs. Efraim Blumenroth.
    Das war ganz richtig, und falsch. Frau Blumenroth wohnt am Riverside Drive, Marie hätte die Schule behalten dürfen, die Heimat; Kinder überleben bei dem Ehepaar Blumenroth, auch wenn sie einer Mutter jüdischer Herkunft ermangeln. Wie konnte ich ahnen, daß Anita bereit ist, für Marie zu verzichten auf Reisen! Nun haben wir es so gedreht: Zur Erziehung berechtigt ist eine Dame in Berlin-Friedenau, seit zwanzig Jahren gewogen und für gut befunden. Der Vormund des Kindes jedoch ist D. E., der muß viermal im Jahr hinfahren und nachsehen, ob es dem Kinde bekömmlich ergeht. Das wollte ich unterschreiben gehen und freute mich, daß es fertig war.
     
    VI .
    – Geht es Ihnen gut, Frau Cresspahl?
    – Vielen Dank, Herr Josephberg.
    – Herz, Kreislauf?
    – Daß Sie sich nun auch noch aufs Medizinische werfen, Herr Doktor. Ja. Arbeitsmüde, vielleicht.
    – Ich bitte Sie zu verzeihen, daß ich heute zu Ihnen in einem anderen Tone zu sprechen habe als dem, der mir in unseren Tischgesprächen lieb geworden ist.
    – Bringen wir es hinter uns, Herr Doktor. Werde ich von jemandem verklagt?
    – Es ist eine schlimmere Nachricht, Frau Cresspahl. Verzeihen Sie einem alten Manne, wenn er über Ihr Leben ausspricht, was er meint gesehen zu haben.
    – Ich bitte.
    – Es ist die schlimmste Nachricht seit dem Ableben Ihres Herrn Vaters.
    – Ich bitte!
    – Laut letztwilliger Verfügung von Herrn Dr. Dietrich Erichson ist Ihnen als erster Person Mitteilung zu machen für den Fall, daß er sterben sollte.
    – Er ist tot.
    – Verstorben bei einem Absturz in der Nähe des Platzes Vantaa in Finnland. Samstag. Acht Uhr morgens.
    – Was war das für eine

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