Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Fahrstuhl tritt Robinson Adlerauge, in der Hand einen Brief, Luftpost, Eilboten, Marken aus Suomi. Der Text beginnt mit: Liebe Ilona! Danach ist »Ilona« durchgestrichen und ersetzt durch: Gesine. Deine Scherze, D. E.
In der Bank ist der Saal für die jungen Götter Wendell, Milo, Gelliston ausgeräumt, bis auf den Fußboden. Im Büro Cresspahl ist das Mobiliar zu einem Turm gebaut, unter einer Malerplane verdeckt. Das Telefon ist samt Anschlußkapsel verschwunden.
– Wir haben Ihnen telegrafiert: behaupten die Mädchen in de Rosnys Vorzimmer. – Hier ist der Durchschlag!
Dear Mrs. Cresspahl wegen Kabelschäden ist die Ihnen zugewiesene Sektion des Stockwerks gesperrt stop wir benachrichtigen Sie sobald Sie Arbeit wieder aufnehmen können stop keine Anrechnung auf Urlaubsanspruch stop have a good time
Die Angestellte Cresspahl ersucht um einen Termin bei Herrn de Rosny. Auf der Stelle. Gleich!
Selber schuld. Sie hätte daran denken sollen, daß die Fernsprechzentrale die internationalen Gespräche aufzeichnet. Aufzeichnen muß. Jetzt hat einer Anita und mich gehört, ein zweiter hat uns übersetzt, ein dritter hat uns in eine Aktennotiz getan, ein vierter hat uns drei anderen in Sitzung erläutert. Hrozebný, hrozivý, hrozící! Drohend, bedrohlich! Hrozím se toho, es graut mir davor! Hrozba trestem, Androhung von Strafe!
De Rosny läßt sich ausgeben als dringend beschäftigt. In den zwei Stunden trotzigen Wartens geht der Angestellten Cresspahl auf, daß ihr aus der Indiskretion immerhin eine pflegliche Geste erwachsen ist. De Rosny hat investiert in diese Angestellte. Für ihn wäre es tatsächlich ein kleiner Verlust, wenn sie kaputt ginge. Eine überlastete Maschine schaltet er für eine Weile ab. Dům hrozí sesutím, das wünschen wir ihm! Das Haus droht einzustürzen!
De Rosny gibt vor der Mittagspause einen Termin her: Montag, den 19. August, neun Uhr morgens.
Hroznýš, die Riesenschlange! Hrozitánský, ungeheuer!
– Meine Empfehlungen an den Herrn Vizepräsidenten: sagt die Angestellte Cresspahl. Sie sieht ein, er hat sich Mühe gegeben. Da haben mindestens sechs Packer an Schreibtischen schleppen müssen vor Tau und Tag. Wenn das ein Spiel ist, sie macht mit. Keinen Schritt werden wir hierher tun vor dem 19. August! Hrozná doba.
Bei Wes müssen wir uns entschuldigen. Wes verkauft Alkoholisches. Alkoholisierte sind ihm ein Ekel. Vielleicht hat Mrs. Cresspahl so ausgesehen gestern abend.
– Wes, auf ein Wort. Wegen –
– My dear Mrs. Erickssen! Keine Rede! Ein Barman ist ein Medizinmann! Sie brauchten ein Taxi, Sie gehörten ins Bett. So was seh ich mit bloßem Auge!
– Schicken Sie mir gelegentlich eine Rechnung, Herr Doktor.
– Die geht an den Professor, Erickssen kriegt die. A sweet man. Ein Ehemann, wie man sich einen nur wünschen kann.
– Attjé, Wes. Thank you kindly.
– Tun Sie mir die Ehre, Mrs. Erickssen.
– Am Mittag? Ohne Herrenbegleitung?
– Ihre männliche Eskorte, Mrs. Erickssen, das bin ich.
Hier hat D. E. Stücke seines Lebens verbracht, die er mochte. Hier waren wir zusammen. Hier ist der beste Platz, den Brief aus Finnland noch einmal zu lesen.
Auch auf den zweiten Blick sind es Nachrichten von einer Reise. Die finnische Neutralität. Der Hafen von Helsinki. Was hat D. E. da beruflich zu suchen!
Bis einem die »Ilona« noch einmal ins Auge sticht, keine Dame sondern eine Abkürzung, der Hinweis auf einen Kode. Bloß mit einem Stift von Wes und auf der Rückseite eines irischen Wettformulars, es ist knifflige Arbeit. Eine Maschine täte es in fünf Minuten, Mrs. Cresspahl ist für zwei Stunden aufgehoben in der Entschlüsselung von D. E.s ILoNa.
D. E. war abermals in Prag. (Aber doch mit keinem Paß, in dem mein Name stünde, Gesine.) Bei den Paßkontrollen im Flughafen Ruzyně tun wir also am besten, als hätten wir alle Zeit der Welt, da die jungen Männer hinter dem schußsicheren Glas unsere Dokumente lesen werden wie andere Leute Lyrik. D. E. empfiehlt uns das Halten eines Autos, denn mit der 22 zum Czernin-Palast, dem Außenministerium, es sei eine arge Tour, insbesondere wenn die Bahn in der Innenstadt gegen die lockeren Schienen haut oder bei Talfahrten auf eine südländische Weise gesteuert wird.
– Schreibt er immer so verzwickte Briefe? sagt Wes, als er nach einer halben Stunde der Frau seines Freundes Erickssen das Glas von neuem füllt. Und will die Frau Erickssens Flugticket für Irland gleich mitnehmen? das liegt
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