Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Maschine.
– Eine Cessna.
– Für die hat er einen Flugschein!
– Die finnische wie die amerikanische Polizei haben seine Identität zweifelsfrei festgestellt.
– Bei so etwas verbrennt man.
– Ja. Nach einem medizinischen Gutachten kann Herr Erichson noch fünf Minuten nach dem Aufprall gelebt haben. Ohne sich seiner Lage bewußt zu sein.
– Mit vollem Bewußtsein zerbrochen und brennend!
– Ja. Verzeihen Sie, Frau Cresspahl.
– So etwas hätte in der New York Times gestanden.
– Die Regierung, bei der der Tote angestellt war, drückte ein Verlangen aus, die Nachricht zu unterdrücken.
– Wie identifiziert man einen verbrannten Menschen.
– An den Zähnen.
– Warum denn keine Kugel in die Brust? Eine Injektion? Ein Stich mit dem Messer!
– Offenbar war dem Verstorbenen aufgegeben, seinen dentalen Zustand greifbar zu hinterlegen.
– Warum erfahre ich das erst heute.
– Weil die amerikanische Untersuchungskommission von Washington nach Helsinki fliegen mußte.
– Zehn Stunden!
– Weil es den Herren beliebt hat, den Todesfall erst heute frei zu geben.
– Ein Foto!
– Es gibt keine Aufnahmen vom Ort des Unglücks.
– Es gibt offizielle Aufnahmen, gemacht von einer Kommission.
– Wenn Sie mich formell beauftragen, werde ich das zuständige Amt …
– Ich glaube es jetzt.
– Sie sind die Erbin von Herrn Erichson, Frau Cresspahl. Seine Mutter hat ein Wohnrecht bis zu ihrem Ableben. Außer Grundbesitz und Barvermögen sind einige Copyrights –
– Nein.
– Wenn Sie es wünschen, werde ich die Verständigung von Frau Erichson übernehmen.
– Nein.
– Ich drücke Ihnen mein Beileid aus, Frau Cresspahl. Seien Sie versichert, daß ich in den kommenden Wochen an Ihrer Seite –
– Könnten Sie Frau Gottlieb bitten, mich an mein Büro zu begleiten? Ohne ihr zu sagen, was … Sie mir mitgeteilt haben?
VII .
Das Büro, der einzige Ort in New York zum Alleinsein, hinter geschlossener Tür. Was immer man tut, wenn einer stirbt, es wird zum Vorwurf; Spiel mit Wasser und Flirt am Jones Beach. Bei Gewitter setzte Jakobs Mutter eine brennende Kerze auf den Tisch und betete. Wir waren so eilig beim Durchsuchen von Minneapolis, wir ließen die vom weiten Mittagslicht zerfaserte Mauerkante und die Lichtfläche dahinter liegen im Glauben, es sei der berühmte Fluß, ohne ihn anzusehen. Es ist ganz richtig, kein Zweifel, im nächsten Jahr wollten wir Ferien machen in Finnland. Über die Alpen wollte er mit uns fliegen, wir waren verabredet in Rom. Nach protestantischem Glauben kann Gott sehen, was auf den Flugzeugen geschrieben steht. Das streitsüchtige Getön der Autohupen auf den Straßen Manhattans; wie hat man nur einst Heimweh haben können nach Geräuschen, die doch nur schlechte Manieren verraten. Außerdem beleidigen die diagonal aufsteigenden Flugzeuge das an Ordnung und Lotrecht gewöhnte Auge. Ein Kind sitzt bequem auf dem Boden, mit dem halben Rücken gegen die Wand, und hebt etwas, das senkt es mit zwei verbundenen, fast tonähnlichen Lauten. Ein Rhythmus, in dem ein müder Körper sich empfindet, unwillentlich, nur als Nervenschaltung im Gehirn, mit dem Gefühl völliger Verzweiflung, sinnlos klagend mit den beiden Lauten, die einander hinterher ziehen. Ein im Schwingen gehindertes schweres Pendel, kurz vor dem Zerbrechen, die Pausen verlängern sich unbeweisbar. Zu meiner Zeit flog man acht Stunden bis New York. Manchmal, wenn ich ankam in Hamburg, an sommerlichen Nachmittagen aus Kopenhagen, war das verbaute Licht im Paßraum mir wie eine Heimat. Wenn mir etwas gefällt, D. E. hœgt sich. Gesine! sagen Leute, mit beschwörendem Ton auf der zweiten Silbe, als wollten sie mich fangen mit dem Namen; D. E. macht das anders, das hör ich gern. Grot Marie is dot, Lütt Marie wartet auf D. E. »Min Döchting«; einmal. – Noch ein, Herr Apteiker sä de. Hets em ein smetn. Und die weiße Kugel, Knallkirschen ähnlich, die gefährlich auf das geschlossene Auge zufährt, den Blick schwindeln, das Gehirn mitschwingen läßt, manchmal auch angenehm so wie Vögel fliegen, weiße mittelgroße, Möwen vielleicht. Es gibt Leute, denen das Fliegen nur deshalb gleichgültig ist, weil die Situation den unverhofften Absturz ja paß auf und Ende des Lebens enthält, also in diesem Moment wie möglichst jedem die Forderung nach endgültiger Ordnung der persönlichen Verhältnisse, einschließlich des Todes. Die Träger einer solchen Haltung geben philosophische Beweggründe. D. E.
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