Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
vor den Fenstern, was kann sie bloß für uns tun?
Tag auch. Wir möchten zwei große Koffer, hier haben Sie die Maße. Die sollen so schäbig aussehen wie es geht. Bitte.
Wie? Sie erwarten in einem Hause wie diesem minderwertige Ware?
Als ob sie gemacht wären aus einem abgetretenen Teppich. Aber stichfest, mit je zwei durchgehenden Riemen und Verschlüssen, die auf den ersten Blick zu erkennen geben, daß sie zu öffnen sind mit unbewehrten Fingern.
I
think
I am beginning to see what you mean.
Die wären schon recht. Leider kommen sie nur in Frage, wenn dieser erlesene Basar des weiteren zwei Gehäuse aus Aluminium aufweist, die so ungefähr mit Haaresbreite hineinpassen.
I see I see!
Das tun Sie nur. Wir haben uns angesehen, wie ein Herr namens Professor Erichson verreist, das hat uns gefallen. Wir nehmen uns was an von diesem D. E.
Weil die Kundin ersucht um eine Lieferung an den Riverside Drive, eine weniger honette Adresse, verrät die füllige Dame ein Zögern, als sie das aufgeschlagene Scheckbuch sieht. Man zu, gute Frau. Der sehen wir gerade in die Augen, die hat die Wahl zwischen einer Einnahme von über zweihundert Dollars oder keinem Vertrauen. Die Bank, auf die der Scheck gezogen werden kann, steht zwei Blocks weiter. Wenn die Dame mit dem Institut telefonieren will, wir müßten’s ertragen. Sie dürfte verlangen: Anschrift der Arbeitsstelle; Mrs. Lazar befragen wegen unserer Kreditwürdigkeit; bis zu den Knien stünden wir im Verdacht des Betrugs. Sie entschließt sich, zu lächeln, ausgesucht an diesem Punkt der Verkaufsverhandlungen. Ist das dramaturgisch berechtigt? Offenbar, denn was kriegen wir gesagt: Ihnen sehe ich es an am Gesicht. Sie brechen sich eher ein Bein, als daß Sie eine alte Dame reinlegen! Glauben Sie mir, meine Menschenkenntnis …
Und weil’s wahr ist, blicken wir sie eigens an, als sie ins Restaurant des Hauses geschritten kommt; ganz die Frau Aufseherin, die darf ihre Tischzeiten wählen nach Belieben, und wird zu einer gutherzigen, etwas gehetzten Frau, die von ihrer Schlaflosigkeit erzählt, da helfen keine Pillen. Eine Mrs. Collins ist sie, wohnt in Astoria, Queens. Wie sich das trifft! Was sie noch sagen wollte: es ist auf den Tag eine Woche her, da kam ein Herr, mit so einem südamerikanischen Hut, der hat Koffer gekauft wie auch Sie, Mrs. Cresspahl. Wissen Sie, vier Jahrzehnte die Erwerber von Koffern beraten, es kann einem … Das kann es. So für sechshundert Dollar, in bar bezahlt. Und am nächsten Tag kam er zu mir, weil ihm die Bedienung gefallen hat … Mir erst recht, Mrs. Collins. Und stellte sich vor als der Impresario eines weiblichen Balletts; gibt es doch! Und ob es die gibt. Da wollte er für jede Tänzerin ein Geschenk, eine Belohnung, eine Prämie, was weiß ich; das machte zusammen zweitausend Dollar. Wie gern verkauft man dafür! wie bereitwillig nimmt man da eine Kreditkarte! Auch wir gehen bloß mit drei Zehnern auf die Straßen New Yorks, Mrs. Collins. Und am Tag danach war sie geplatzt. Geklaut. Ein Verlust von zweitausend! Auch wir gehen ungern zur Geschäftsführung. Sehen Sie, Mrs. Cresspahl, das wollte ich nachtragen, weil wir einander so angekuckt haben vorhin, und können Sie mir verzeihen?
III .
Die N. Y. Times, sie hat den Leuten aufs Portemonnaie gesehen in New York und im nordöstlichen New Jersey. Wenn man für einen Fabrikarbeiter in dieser Gegend einen durchschnittlichen Lohn von $ 3.02 annimmt, dann hat er im Juni eine Stunde und 44 Minuten schuften müssen für ein Rippenstück im Restaurant.
Die Beratung in Bratislava hat sämtlich aus der moskauer Presse geweht, was da tägliche Kost war an Verdacht auf Konterrevolution, antikommunstischer Verschwörung etcetera. Was gibt die Pravda zu verstehen? nur den imperialistischen »Feinden des Sozialismus« ist es anzulasten, daß es überhaupt gekommen ist zu so einer Aussprache.
Auf dem Flugplatz La Guardia ist eine Bahn für STOL eröffnet worden, Short Take-Off and Landing. Wetten, daß D. E. mit uns das Ding ansehen geht am nächsten Sonnabend?
IV .
Als Mrs. Collins zurückgelaufen kam in den Speisesaal, hatte sie eine Nachricht. Ob wir wohl so gut wären und anriefen in New York bei der und der Nummer? Sie sollen bedankt sein.
Aber böse war die Angestellte Cresspahl doch. Sie hat niemandem in der Bank mitgeteilt, wohin sie an diesem Dienstagvormittag Koffer kaufen geht; unerträglich für einen Augenblick war die Vorstellung, daß ihr jemand nachginge.
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