Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
erlernen; ungerührt fragte Pius »meine Lieben« nach den Abenteuern Maries im Amerikanischen. Wenn Düsenjäger knallten über Westberlin, die Bevölkerung einzuschüchtern, saßen darin andere als Pius; der war ein Testpilot, wertvolles Material, als Kader gehütet. Ärztliche Untersuchung alle vier Wochen, Kuren in den Sanatorien, die reserviert sind für Leute vom Minister aufwärts. Und unerreichbar. Anita, mit all ihrer Geschicklichkeit im Reisen, sie hat ihn lange gesucht in der Sowjetunion und doch nie lebend zu Gesicht bekommen. Der konnte nun das o sprechen wie ein Moskauer. Gesine flog aus ihrer ersten Arbeit in Brooklyn Knall und Fall; Pius probierte, was noch zu verändern sei am SU -9 (»Fishpot«), einem Jäger mit einer Höchstgeschwindigkeit bei Mach 2; der N. V. A. vorenthalten. Vielleicht unterließ er deshalb Besuche in der Heimat. Als er nach Hause gekommen war, wußte das Gerücht von einem mitternächtlichen Auftreten Pius’ bei seiner Mutter, 1962. Als der Präsident Kennedy ermordet war, schrieb Pius einen Brief, der sollte eine Gesine in New York City trösten. Der Form halber, abschätzig, erwähnte er »meinen Lieben« eine kurze Ehe mit einer Masha, einer Marie. Der war endgültig allein. Kam nun dieser Mensch zu sich selbst in seiner Arbeit? Die letzte war die an einem TU -28, einem Jäger für lange Strecken jenseits der Geschwindigkeit des Schalls; eine Maschine von dreißig und einem halben Meter Länge regierte er, eine Spannweite von 19,8 Metern. Oberst Pagenkopf. Wetten, daß das k in seinem Namen den Russen ausfiel als Annäherung an ein g? Und weil er den Sowjets lieb geworden war mit seinen Verdiensten um das Verbessern ihrer fliegenden Waffenträger, schickten sie im Dezember 1964, statt ihn an Ort und Stelle zu begraben, einen zugeschweißten Sarg nach Gneez, Mecklenburg. Der wäre nur mit industriellem Gerät zu öffnen gewesen. Fast dreiunddreißig Jahre alt ist Pius geworden.
(Für die technischen Beschreibungen ist zu danken Herrn Prof. Dr. Erichson. Er beschaffte sie auf Reisen mehr als zwei Jahre lang, in Verhandlungen mit Vertrauensleuten in der U. S.-amerikanischen und westdeutschen Luftwaffenführung (wo wir insbesondere von einem Herrn B. kein Aufhebens machen sollen); zu Zeiten und Gelegenheiten, da hätte er wohl vorgezogen, sich auszuruhen und ein, sagen wir: Glas Tee zu trinken. Sollst bedankt sein, D. E.)
Einen Bericht von Pius’ Funeralien verdanken wir unserer Schulfreundin Anita Gantlik. Mit ihrer Sorte von Dokumenten fuhr sie, die Protestantin, nach Gneez zu der katholischen Veranstaltung, auf die die sozialistischen Eltern sich geeinigt hatten. Ihr zufolge also wird die Lieferung der Materialien zur Verwandlung angezeigt durch zwei Klirrschläge. War die Rede von unserem Bruder (einmal: Diener) Robert Pagenkopf. Dem nunmehr die »Wegzehrung« widerfährt, die er lange entbehrt hat. Auch bei denen sei »dies mein Leib, dies mein Blut«. Es trat die Mutter vor zur Hl. Kommunion; stocksteif blieb der alte Pagenkopf stehen, schuldbewußt. Wo angesagt wird: Wir beginnen den Ritus der katholischen Beerdigung. Da weiß man doch. Sarg erst in der Kapelle sichtbar. Viel Niederknien. Die Vorfreude auf Pius’ Vereinigung mit Gott. »In das Paradies werden Engel ihn geleiten.« Abschied mit Weihrauch am Grab.
Keinerlei militärische Präsenz. Der Sarg ohne eine Fahne der Roten Armee, der N. V. A. Auf dem Sarg ein Messingschild mit dem vollen Namen. Die Anschrift für die Ewigkeit.
Unter den Trauergästen erblickte man. Die Kranzschleifen lauteten. Diese Gesine in New York hätte sich auch was Gescheiteres einfallen lassen dürfen als: Rœbbing sin Gesin. Ach, als Dativ zu denken? Nu seggn Se doch eins an. Ausführliches, mecklenburgisches Mittagessen, im Gespräch mit dem Priester.
Zwei Todesnachrichten überbringen.
Was unsere Arbeit angeht, so stehen wir in der N. Y. Times, Seite 1, Spalte 3: Die Č. S. S. R. begehrt Anleihen in einer Höhe von 400 bis 500 Millionen Dollar zum Ankauf industrieller Ausrüstung. De Rosny: Bin schon da.
Am Riverside Drive wartet ein betrübtes Kind, das will trösten: Es ist ein Telegramm da, und leider hab ich es aufgemacht. Es ist von D. E. aus Finnland. Er hat einen Unfall gebaut. Was für ein schußliger Mensch, vergißt die Adresse! Man möchte ihm doch schreiben! Unterschrieben: Eritzen.
Das ist die Handschrift Anitas. Genosse Schriftsteller, daß du sie ja korrekt bewertest!
Handschrift der Schülerin
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