Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
F. F. Fleury kleinlaut, klitzeklein vor Reue, mit Hut?
Annie nickt, schämt sich über sich selbst, beißt sich durch zu einer Aufrichtigkeit, bekennt: En jaksa enää.
Sie kann nicht mehr, ein Leben ohne den Mann geht über ihre Kräfte. Was bleibt uns da, da telefonieren wir um sechs Plätze in einer recht kleinen Maschine von den Mohawks, die hängt tief nach unten an ihren Flügeln, nennt sich Vista Jet, obwohl sie Propeller vorweist (vielleicht wegen versteckter Turbinen) und geht in einer eigensinnigen Art immer gleich steil nach oben. Die beiden älteren Kinder Annies beharren auf einem Trotz, einem hervorgekehrten Gehorsam; Francis R. Knickebein Fleury ist nun drei Jahre alt, der blickt gänzlich verwirrt hinunter auf die fremde Gegend, ausgiebig bewaldetes Bergland, in dem Autobahnen, Tankstellen, Hallen für Großeinkauf unachtsame Löcher gerodet haben. Zwar waren auch norwegische Muster zu sehen, mit weißen und roten und Schieferfarben, Weiler oder auch einzelne Schmuckkästen hoch am Berg gelegen, mit kaum erkennbarem Weg dahin. Wir fliegen auch bald; wer unter den Flügeln sitzt, kann das Ausfahren eines Beins beobachten, bis alle Gelenkstangen gerade sind, so daß das Bein womöglich stehen wird. Der Flugplatz scheint für umfänglicheres Fluggerät kaum geeignet, besteht nebenbei aus einer engen Holzbaracke. Der einzige Abfertiger geht dem anrollenden Mohawk zum Einweisen entgegen, bis es ihm gehorcht und hält. Dann legt er die Bremsklötze vor, nimmt die Ohrenschützer ab und holt die Wagen für die Gepäckstücke, die dürfen die Fluggäste unter freiem Himmel an sich nehmen, als würde in Vermont ganz selten gestohlen. Die Cresspahls wenden sich vor Mrs. Fleury sogleich ab; die wollen ihre Buchungen für den nächsten Kurs nach New York/La Guardia bestätigt haben; die finden sich entbehrlich als Zeugen in der Szene, da Annie dem ihr angetrauten Mann heulend an die Brust sinkt, ein dicklich gewordenes, schlaffes Kind in ihrem verrutschten Schneiderkostüm. Auch den Cresspahls muß die Hand gedrückt werden, darauf besteht er; schweigend, wie bei einem Trauerfall.
Und Fahrt über die Hauptstraße, entlang an Geschäften, die geben sich hartnäckig dezent. Die Bäckerei meldet sich als Bäckerei; vornehm versagt sie sich die Anpreisung von Super-8-Brot oder dergleichen großstädtischen Ersatzartikels; so halten die anderen Läden sich im Ländlichen zurück. Und Spaziergang. Die Nähe, die Anwesenheit der Universität bringt ins Glas der Ladentüren solche Bitten wie: Keine barften Beine. Die Kleider bieten Solidität an, bei den Souvenirs kommt der Käufer in der Regel davon ohne Blamage, die Fenster scheinen täglich geputzt. Um das Hotel an der Ecke ist eine Veranda gezogen, auf der stehen neue Schaukelstühle im Stil der Tradition ganz allein mit ihrer Langeweile. Annies künftige Welt. Das Haus, gebaut von einem Gentleman-Farmer um 1840, aus Stein, erweitert mit ochsenblutfarbenem Scheunenanbau, auf den ersten Blick geschützt durch alte Ahorne und Gebüsch, dem Ohr später erkennbar als dicht umgeben mit Nachbarn in Fertigbauten und Straßen, die sie wild befahren. Das Innere notdürftig gereinigt, gewaltsam aufgeräumt; Annies künftiges Leben. Das Hotel hat ein Mittagessen geschickt; der Gast wird um einen Toast gebeten von dem gedrückten mutlosen Ehepaar. Da sagte Mrs. Cresspahl, ohne darauf zu vertrauen, was hier sich gehört von Martje Flohrs. Was ist sie froh, was ist Marie erleichtert, als sie am späten Nachmittag den Flugplatz erreichen, wo der Abfertiger ihnen entgegen blickt wie Bekannten! Tatsächlich hat er schon einmal gebimmelt mit der messingnen Kuhglocke, die hier einen Start ankündigt.
Die N. Y. Times wird geteilt. Marie befaßt sich mit der Svetlana Stalina Allilujeva und ihrem neuerlichen Gejaule. Sie möchte der Welt mitteilen: ein Auto gedenkt sie zu erwerben, so gut geht es ihr in Amerika! ihren sowjetischen Paß, den begehrtesten der Welt, sie hat ihn ins Feuer geworfen!
Sie haben es aber doch erwogen und geplant, die Ostdeutschen. Mitte Juli haben sie eine Teilmobilmachung ausgerufen für die 650 000 Mann der N. V. A.-Reserve, für eine Invasion der Tschechoslowakei. Vor drei Wochen wäre es beinah los gegangen.
Es war ein Ausflug. Und wie machen wir einen nach Mecklenburg? Den besorgt für uns Anita.
Sie fuhr zu Himmelfahrt / im Monat Mai, und betrachtete vom Zugfenster ernsthaft die seit 1964 nachgewachsenen Steine in der niedrigen Saat, manche
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