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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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mir her. Ich teilte die Margarine ein und tat sie in die Kessel. Die Mädchen fischten die Margarine sogleich wieder heraus und warfen sie in Wassereimer, damit sie hart wurde. Dort war eine gute Frau meine
Chefin, Frau
Stiebitz. Sie sah weg.
    Dürfen wir das beiseite tun?
    – Do it aber paß auf.
    Mrs. Ferwalter erklärt nun was ein
Block
ist, mit abkantenden Handbewegungen: Das waren Häuser, die standen so. In einem Block waren Mädchen, dreizehnjährige Kinder. Denen trug sie nach dem Dienst Eimer mit Suppe hin. Einmal wurde sie unterwegs angehalten von einer jüdischen
Kapo
: Du stiehlst, du Schwein.
    – Du mußt wohl bezahlen?
    Die jüdische
Kapo
drohte ihr mit Rapport, und tatsächlich wurde sie am nächsten Morgen, nach stundenlangem Stehen, herausgerufen, des Widerstands gegen
die Kapo,
auch eines Diebstahls beschuldigt.
Frau
Gräser, die Leiterin des Frauenlagers, sie sagte: Sie werden jetzt erschossen. Rief einen
Posten
herbei.
    Frau
Gräser hatte ein Mädchen lieb gewonnen und benutzte sie als eine rechte Hand, eine Frances. Frances sagte: Das machen doch alle. Wenn Sie mich wirklich mögen, tun Sie mir die Liebe und lassen sie am Leben. Ist doch tüchtig in der Küche.
    Das Urteil wurde umgewandelt in eine Stunde Kniens auf Schottersteinen, zwei Steine dabei in erhobenen Händen. Es dauerte viele Wochen, bis die Knie wieder ihre Form hatten.
    Frau
Stiebitz schwieg dazu. Das muß man verstehen. Es war ja 1944 so: Die Deutschen waren fed up, sie hatten genug.
    Als wir ankamen, war da nichts. Dann wurden Bäume gepflanzt, wie zu einem Park. Die dann noch lebten, waren Tiere geworden (animals, statt beasts).
    Bei der Ankunft in Auschwitz wurden wir
entlaust
(you know, some kind of disinfection) und geschoren. Das Haar wuchs doch nach, und
Frau
Stiebitz sagte gern: Wie schön. War es ja auch. Ja die
Selektion
war wie eine Schönheitskonkurrenz. Auch
Frau
Gräser sagte einmal: Sie könnten gehen als Schönheitskönigin.
    Bei der
Bestrafung
wurde mir eine Bahn durch das nachgewachsene Haar geschoren. Ich ging hin und ließ mir gleich alles abschneiden. Einundzwanzig Jahre war ich.
    Wir arbeiteten in zwei Schichten. Die am Tag ging. Schlimm war die in der Nacht. In unserer Ecke arbeiteten sieben Krematorien. Am Ende der Nachtschicht war der Himmel rot wie Feuer. Ich hörte die Leute schreien: Help, help!
    Sie werden es verstehen, Mrs. Cresspahl. Sie sind doch eine
Frau
.
    Von Auschwitz wurden wir in eine Munitionsfabrik im Westen gebracht, vielleicht in Deutschland. Ich habe ein Schild gesehen: Geh-len-au. Es war ein ganz kleines Lager für Franzosen.
    Wir sahen die Engländer mit Fallschirmen abspringen. Wir wurden zum Bahnhof getrieben und in Waggons gesperrt. Die Einwohner des Ortes plünderten die Geschäfte. Es war nur noch eine halbe Stunde, dann wären die Engländer da gewesen, da fuhr der Zug ab. Wir kamen nach Mauthausen. In Mauthausen wurde ich
befreit.
    1945 versteckte
Frau
Stiebitz sich in Österreich. Die Häftlinge besorgten ihr Kleider und einen amerikanischen Schein (sie macht mit zwei Fingern das Zeichen eines sehr langen Rechtecks), so daß sie zurück konnte nach Deutschland.
    In den ersten Tagen nach der
Befreiung
(9. Mai) lebten wir auf einem Bauernhof. Das gute Essen, die echte Milch, die roten Äpfel vom vorigen Jahr (in hausfraulichem Ton). Aber wir hatten Angst, auf dem Nachbarhof war S. S. versteckt. Sie konnten doch rauskommen und es wieder machen. In Mauthausen ein
Aufseher
hat sich nachts immer fünfzehnjährige Mädchen geholt.
    Die jüdische
Kapo,
die sie mit der Kartoffel ertappt hatte, sah sie nach dem Krieg in einem Bürohaus in Tel Aviv, Israel. Die zeig ich an. Bis eine Freundin riet: Warum willst du dir das alles auf den Hals laden, die Lauferei zum Gericht, die Aussagen, die Unterschriften. Und ich ließ es.
    In Israel war damals alles rationiert, die Städter gingen hamstern auf dem Lande. Diese
Kapo
geht durch die Hintertür in eine Küche und ruft. Die Bäuerin, Häftling in Auschwitz, im vorderen Zimmer sitzend, sie erkennt die Stimme. Schreit. Alle laufen auf die Gasse, halten die flüchtende
Kapo
fest. Sie bekam ein Jahr Gefängnis.
    Vor Gericht in Israel stand auch ein Mädchen aus dem Heimatdorf, die behandelte alle übel, außer mich. Ist
Kapo
geworden in Auschwitz. Damals konnte man frei kommen, wenn eben so viele Zeugen für den Angeklagten aussagten wie gegen ihn. Ging ich hin und sprach für sie. Es ist eine alte Freundin, sie ist ein böser Mensch.
    Aber

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