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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Schüler Lockenvitz bedrängt wegen einer sozialistischen Autarkie. Für die Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf & Co. war er enttarnt, der Aufpasser, der Angeber Manfras, der noch Drecksarbeit auf sich nahm, wenn das Wohl der Einheitspartei sie erfordert. Uns selber konnten wir schützen von nun an; wie aber die anderen warnen? Eine Mitteilung an der Tafel in Druckbuchstaben, sie hätte uns uniformierte Leute ins Haus gebracht oder, schlimmer, in Zivil. Wir begnügten uns mit versteckten Rippenstößen, beiläufigem Räuspern, wenn jemand in unserer Mitte offenherzig sich ausließ über einen ausländischen General und Marschall, der hatte Truppen stehen in Mecklenburg. Ein verstohlenes Nicken zu Manfras hinüber, der gesenkten Kopfes dabei saß und mathematische Eintragungen vorschützte, wir verkniffen es uns.
    Hünemörder kam zurück nach Jerichow und Gneez aus dem Lüneburgischen, getreu seinem Schwur: erst müsse das Gesindel der Friedrich Jansen und Friedrich Hildebrandt ausgeräuchert sein in Mecklenburg. Ein paar Pfund Pinnen und Nägel hatte er mitgebracht aus dem Westen, ein Eisenwarengeschäft gedachte er zu eröffnen in Gneez; hatte sich etwas ausgerechnet in seinem wirtschaftlichen Verstand. Nun bedurfte er noch einer Verkäuferin und vernahm ungläubig, es sei Leslie Danzmann zu haben. Die Dame Danzmann? Gewiß; die war nach dem Wohnungsamt noch die Arbeit im V. E. B. Fischkonserve los geworden; wieder und abermals des Unterschlagens und ungesetzlichen Verbringens von Aalen etc. beschuldigt, an einem Wahrheitsbeweis gehindert, hatte sie gekündigt, in ihrem Stolz. Vorstellig in Schwerin bei der C. D. U., half ihr noch einmal ihr Leumund von früher und durfte sie aushelfen bei der Berichterstattung über Prozeß-Sachen in der Neuen Union; für eine Weile verschont von dem Erschrecken über die Bückware, die ihr als bevorzugter Kundin beim Fleischer wie im Milchladen zugelegt wurde, was sich kaum bemerklich machte im Verkaufsgespräch, empfindlich aber im Endpreis. Ihr »Blick in den Gerichtssaal« machte sie für eine Weile bekannt in fast allen Städten Mecklenburgs; dann holte sie ein, was in den Akten über ihren Lebenslauf geschrieben stand. Nun war Leslie Danzmann zu haben, zu beliebigem Stundenlohn. Erleichtert, mit gemütlichen Redensarten fertigte sie die Schlange aus Käufern ab, die sich aufstaute vor Hünemörders Schaufenster mit der Mangelware. Nach der zweiten Stunde Handelsbetrieb war die Volkspolizei benachrichtigt, trat paarweise auf und führte Leslie ab, an ein Handgelenk von Hünemörder gekettet. Was Hünemörder bekam für seinen Versuch, die Volkswirtschaft zu sabotieren mit dem Vertrieb kontingentierten Handelsgutes, es blieb unbekannt, weil in der Hauptstadt verhandelt; Emil Knoop, über den wohl der Nachschub hätte laufen sollen, war gerade zu Schiff nach Belgien (für Knoop zogen mittlerweile auch Lastkähne über die Grenzen). Leslie Danzmann wurde ein paar Tage einbehalten unter dem gneezer Landgericht, ohne Auskunft über eine Anklage, und mit der Säuberung der Zellen und Gänge beschäftigt. Wie sie sagt, ist sie entlassen worden auf die Stunde, da sie die Hafträumlichkeiten in Schick hatte. Das war der Danzmann neuerlich widerfahren als gesellschaftliche Belehrung; was aber würde sie daraus ziehen als Gewinn für ihre gesellschaftliche Erkenntnis? fragte das Kind Cresspahl in vertrautem Kreise, bemerkte zu spät die aufmunternde Miene von Manfras im Näherkommen.
    Bettinchen war furios. Die Brosche an ihrem Blauhemd bebte. (– Wo die Brosche sitzt, is vorn: auch das war ihr hinterbracht worden.) Aber sie mußte es bewenden lassen mit einer ungefähren Drohung gegen Leute, deren Mitleid mit Einzelpersonen des rückständigen Mittelstands … Die Schülerin Cresspahl lächelte geflissentlich. Sie wußte von einem Foto, desgleichen Bettina, das zeigte die Lehrerin in sehnsüchtigem Umgang mit Mittelstand.
    Der Kartoffelkäfer-Aufstand brachte es an den Tag. Die Zwölf A Zwei war auf die Äcker befohlen zwecks Unterscheidung von coccinellidae oder rodolia cardinalis von leptinotarsa decemlineata; da fehlten drei. Ob nun verabredet oder aus Vergeßlichkeit, die Schülerinnen Gantlik und Cresspahl hatten einen Spaziergang zum Smoekbarg vorgezogen, vielleicht weil sie den Rest der Klasse zuverlässig auswärts wußten. Saitschik gab an, er habe für sein Tanting’ Kohlen in den Keller räumen sollen. Alle drei bekamen eine schriftliche Aufforderung, vor der

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