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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Gott hat sie gestraft. Sie hat einen Mann geheiratet, der war schäbig zu ihr; sie ist geschieden.
    Das eigentlich Schlimme war: daß die Deutschen die Juden zwangen, einander umzubringen. Verwandte ins Feuer zu werfen bei lebendigem Leibe.
    (Rebecca ist beim Laufen hingefallen:) My child, I have waited for you so long, eighteen years!
    (Rebecca soll zum Trost von einem Brötchen essen, Fisch zolldick zwischen den Scheiben:) Sehen Sie! (Da Rebecca genudelt wird, ist sie bei zierlichem Körperbau ein bißchen dicklich.) Wenn doch mein Kind äße wie Ihrs!
    Aus der Č. S. R. sind wir legal gegangen, mit Pässen. Wir durften die ganze
Hauswirtschaft
mitnehmen. 1948. Es waren acht oder zehn Tage bis Tel Aviv.
    Weil mein Bruder Zucker auf dem Schwarzmarkt besorgt hatte auf dem Schwarzen Markt; der war rationiert. Bekam ein halbes Jahr Gefängnis: Die Strafe beginnt am nächsten Montag. Hatte er keine Lust, drauf zu warten, ging nach Preßburg, über die Grenze nach Wien. Die Polizei trat an am Montagmorgen. So sind wir mit des Allmächtigen Hilfe in New York.
    Und bleibt es dabei, daß das Gebäck ich bringe zur Kindergesellschaft, Mrs. Cresspahl?
    12. August, 1968 Montag
    Die New York Times, sie möchte ihre Leser vorbereiten auf einen Jahrestag: morgen vor sieben Jahren ließ der ostdeutsche Sachwalter die Grenze seines Teils von Berlin zum Gebiet der westlichen Alliierten verstellen mit einer Mauer, seine Bürger am Umziehen, die von Westberlin am Besuchen zu verhindern. Ausnahmen werden erlaubt, wenn Tod vorkommt in einer Familie; wenn das gesetzliche Rentenalter erreicht werden konnte. »An meinem Geburtstag war ich glücklich«: schreibt eine Frau aus dem »demokratischen« Berlin an ihre Tochter im anderen: »älter geworden zu sein. Nun dauert es bloß noch fünf Jahre, bis ich dich besuchen kann.« Die Mauer ist bemannt mit zwei ostdeutschen Brigaden und drei Lehrregimentern, insgesamt etwa 14 000 Bewaffneten.
    Am 7. Oktober 1951, dem ostdeutschen Staatsfeiertag, bekamen ausgesuchte Haushalte in Gneez, Mecklenburg, zwei auch in Jerichow, zum ersten Mal gemeinsame Post, ohne Absender. Die Umschläge, das Papier im Format D. I. N. A 5 waren fleckig, mit holzhaltigen Verdickungen, rißempfindlich, wie die Dienststellen der Regierung es zu Mitteilungen verwandten; der Text geschrieben mit immer der einen Schreibmaschine, deren Typen für das e und das n zuverlässig aus der Zeile sprangen. Wer das mit der Hand abschrieb (wie Cresspahls Tochter), ehe er die Sendung ablieferte bei der Deutschen Volkspolizei als ein Zeugnis für seine Stalinsche Wachsamkeit, bekam allmählich eine vorläufige Liste zur Justiz in Mecklenburg seit 1945.
    (Der Versender setzte bei seinen Lesern voraus, die Bedeutung eines großen Z sei ihnen bekannt als Zuchthaus. Er vertraute auf ihre Ahnung, die Buchstabenfolge SMT stehe für »Sowjetisches Militär-Tribunal«, FT für Fern-Tribunal. Auch verließ er sich auf die Annahme, ein Mensch im lesefähigen Alter in Mecklenburg vermöge unter einem ZAL mühelos ein ZwangsArbeitsLager sich vorzustellen, unter einem »verh.« statt verheiratet ein »verhaftet«. Offenbar war er in Eile, oder kam selten heran an das klapprige Schreibgerät:)   
    Prof. Dr. jur. Tatarin-Tarnheyden aus Rostock, geb. 1882, verh. am 20. November 1945; durch SMT verurteilt zu zehn Jahren ZAL .
    Prof. Dr. Ernst Lübcke, geb. 1890, Naturwissenschaftler, am 8. September 1946 von sowjetischen Offizieren festgenommen; in die Sowjetunion verbracht, verschwunden.
    Fred Leddin, geb. 1925, Student der Chemie, verh. am 27. September 1947; durch SMT verurteilt zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Hans-Joachim Simon, Student der Naturwissenschaften, verhaftet am 27. September 1947; verschwunden.
    Herbert Schönborn, geb. 1927, stud. jur., verh. am 2. März 1948; durch Sondergericht des M. W. D. (Ministerstwo Wnutrennich Djel, das sowjetische Innenministerium) verurteilt zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Erich-Otto Paepke, geb. 1927, stud. med., verh. am 8. März 1948; verurteilt durch SMT Schwerin zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Gerd-Manfred Ahrenholz, geb. 1926, Student der Chemie, verh. am 23. Juni 1948; verurteilt durch SMT zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Hans Lücht, geb. 1926, stud. med., verh. am 15. August 1947; verurteilt am 30. April 1948 durch SMT Schwerin zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Joachim Reincke, geb. 1927, stud. med., verh. 1948; verurteilt durch SMT Schwerin zu fünfundzwanzig Jahren ZAL .
    Hermann

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