Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
phys., verh. am 24. Dezember 1951; verschwunden …
Der Verfasser der fürsorglichen Korrespondenz mochte es umsichtig angehen und seinen Briefen unterschiedliche Stempel verschaffen, indem er sie einwarf in Stralsund, Rostock, Schwerin, Malchin, Neubrandenburg; er verriet sich durch seine Auswahl. Dem war es gleichgültig, daß Peter Wulff vorgeworfen war, er habe in den Jahren 1946-1948 den Staat (den es erst seit 1949 gab) geschädigt an Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, insgesamt um 8643,– DM ; weswegen er in der Unterwerfungsverhandlung vor dem Finanzamt Gneez im Mai 1950 die Zahlung einer Geldstrafe von 8500 Mark noch lange verweigerte, also im Juli verknackt wurde, gemäß § 396 der Abgabenordnung, zu siebentausend Mark und drei Monaten Gefängnis; Wulff hätte in solche Chronik gehört. Dem Verfasser war es als Wirtschaftspolitik zu geringfügig, daß der Bauer Utpathel in Alt Demwies wegen seiner Rückstände in der sollgemäßen Ablieferung von Fleisch, Milch, Wolle, Ölsaaten zu zwei Jahren Zuchthaus kam; obwohl er hinwies auf seine dreiundsiebzig Jahre, auf die minderwertige Qualität des vom Staat gelieferten Saatgutes, auf den Verlust seines gesamten Viehbestandes an die Rote Armee 1945, auf die Viehseuche von 1947; das Kreisgericht Gneez gestand ihm diese »objektiven Schwierigkeiten« zu mit dem Vorbehalt, als fortschrittlicher Landmann habe er eben seine Wirtschaft belasten müssen und auf Kredit sich Vieh beschaffen, damit seine Verpflichtungen gegen Staat und Volk zu erfüllen; wegen Schädlingstätigkeit eines großbäuerlichen Elementes (42 Hektar Ackerboden) Entzug des Vermögens, wegen Wirtschaftsverbrechens gem. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 der WStrVO 2 – zwei – Jahre Zuchthaus. Nun stand Georg Utpathels Hof unbewirtschaftet, von den Nachbarn ausgeschlachtet; offenbar eine Lappalie für jemand, dem das Vorgehen von Strafkammern gegen Oberschulen näher ging, der nur die rein politischen, die ideologischen Bestrafungen eines Mitteilens für wert erachtet; daran würden sie ihn fangen, dazu seine Abschreiber: sagte Jakob, nahm Cresspahls Tochter solche Notizen weg, vorgeblich um sie zu besprechen mit seinem Freunde Peter Zahn. Tatsächlich lagen ihre Zettel aufbewahrt bei einem unbekannten Dritten in der Gewerkschaftsleitung der Eisenbahner von Gneez, der übersandte Cresspahls Tochter ihr Eigentum nach Jakobs Tod in einem Umschlag mit holländischem Poststempel.
Einstweilen hielt der namenslose Gerichtskorrespondent (der niemals einen Briefkasten von Gneez benutzte) seine unfreiwilligen Abonnenten auf dem Laufenden, wie es getrieben wurde gegen die Besitzer von Gaststätten und Hotels an der mecklenburgischen Ostseeküste unter dem Decknamen einer »Aktion Rosa«; zur Abwechslung. Vielleicht wollte er Eintönigkeit vermeiden und schob zwischen die Personalnachrichten noch einmal die Verlautbarung der sowjetischen Nachrichtenagentur T. A. S. S. über die Todesstrafe: sie trägt einen zutiefst humanistischen Charakter, indem … Dann wieder zeigte er seine Vorliebe für Oberschüler und erzählte uns von Dicken Sieboldts Verlegung aus der Strafanstalt Neubrandenburg mit unbekanntem Ziel, oder eine Voreingenommenheit für Studenten in Mecklenburg, als wolle er da sich bewerben: die Staatssicherheit von Rostock habe sich das »Volkshaus« unter den Nagel gerissen, schräg gegenüber der Universität, Zellen eingebaut im Keller und in zwei Stockwerken, drohe bei den Verhören mit Sippenhaft, ergehe sich in Prügeln gegen Angeklagte. Oder er hielt den Blick gerichtet auf die Zukunft mecklenburgischer Studenten, erläuterte seinen Beziehern die Herkunft des Gefängnisnamens »Bützow-Dreibergen« aus den drei Hügeln an der südwestlichen Ecke des Bützower Sees, auf denen die Unterkunft einst hatte errichtet werden sollen; erzählte uns vom ersten Leiter der Anstalt nach 1945, dem Schlossergesellen Harry Frank aus Bützow, der sich ausgab als Regierungsrat, bis er sich im Juni 1949 in einer Zelle erhängen mußte; von den Schlägertrupps in dem überfüllten Bau, benannt nach dem V. P.-Leutnant Oskar Böttcher. Dem Ton nach waren es Berichte, die uns ins Haus kamen; nur einmal gab der Schreiber einer Verärgerung nach, mit einem Ausruf schließend: Mecklenburger! berühmt sind wir nur noch für die Wruken, die bei uns an die politischen Gefangenen verfüttert werden, für die »mecklenburgische Ananas«; reicht uns das?
Nach den Weihnachts-, den Winterferien wurden in Gneez und bei
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