Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
ich muß dir was sagen! (Im Vertrauen.)
Der Wachdienst in der ehemals Dr. Grimm gehörigen Villa war so genau eingeteilt; keine hatte von der anderen geahnt, daß die schlief auf der anderen Seite der Wand, beköstigt wurde mit Näpfen mecklenburgischer Ananas, schlief unter verschmutzter Decke und dem Duft von vielerlei Schweiß. Einig waren sie sich in der Befürchtung, wem sie solche Unterkunft und Behandlung verdankten; die Befragung hatte vornehmlich gestöbert nach der Herkunft, den Äußerungen, den Gewohnheiten »unseres schönen jungen Mannes« Lockenvitz. Wir waren gekränkt in dem, was wir uns vorstellten als männliche Standhaftigkeit. Daß er sich einen Gewinn an Zeit hatte verschaffen wollen auf dem Rücken und den Handflächen von drei Mädchen ohne Ahnung, es zu begreifen waren wir bereit; da blieb eine Enttäuschung. Bis Jakob für uns den Salomo machte und sagte: mit so ungeduldigen Damen solle man ihn verschonen! Ob wir wohl hofften, wir kriegten je einen Mann? Bedenkt doch, was man einem Menschen antun muß, ehe er Schaden stiftet für ein Mädchen!
Anita gefiel es in meines Vaters Haus. Da war Cresspahl, der ihr zuliebe die Schultern zurücknahm bei der Begrüßung und ihr in die Augen sah, als er dankte für die Bekanntschaft. Dor wier ne oll Fru, die betete vor dem Essen. Da gab es einen jungen Mann, der rückte für sie den Stuhl, legte ihr vor, bediente sie mit erzählendem Reden; auch einen Bescheid bekam man von ihm.
Die dritte im Bunde erkannten wir bei einer Turnstunde, da war unsere Klasse zusammen gelegt mit der Elf A Zwei. Annette Dühr ging steif; die hatte wohl länger stehen müssen mit durchgedrückten Knien. Die war gesehen worden, als sie etwas hinterließ an der Tür der Lockenvitzschen Wohnung; der war etwas weniger geglaubt worden. Das Glas auf ihrer Uhr war zerbrochen. Auf dem Rücken hatte sie blaue Striemen, von Schlägen. Ihr fehlte ein Zahn. Sie blickte an uns vorbei in einer bittenden Art; die wünschte sich ausgeschlossen aus solchem Bund.
Eine fühlte sich zu kurz gekommen. Lise war auf dem Dachboden von Buchbinder Maaß versteckt worden, sobald zwei fehlten in der Zwölf A Zwei. Sobald die Staatssicherheit sie sollte holen kommen, hätte Frau Maaß sie nachts in den Gräfinnenwald gebracht zu einem Auto, mit dem sie gerettet worden wäre nach Berlin; nun alles für die Katz und die Vögel. Als ob sie ganz ohne Behuf sei, eine unergiebige Lise Wollenberg.
Von Gabriel nahm inzwischen keiner mehr ein Stück Brot oder ein Wort. Bedrängt von der eigenen Schulklasse, angefleht von der Familie Dühr um eine Intervention der Zentralen SchulGruppen- Leitung zu Gunsten der Verschwundenen, hatte er befunden: dergleichen Ansinnen zeugten von einem bedenklichen Mangel an Vertrauen in den sozialistischen Staat. – Unsere Sicherheitsorgane wissen was sie tun; nur das Notwendige. Da verkneift man sich Fragen. Da hilft man!
Manfras mochte leiden an der Gleichgültigkeit, die die Mädchen ihm erwiesen seit dem Sommer 1951; schmachtenden Gehabes sangen wir ihn an, blank ins Gesicht, bis er zuverlässig errötete: Schau mich bitte nicht so annn, / du weißt es doch ich kannn / (dir dann nicht widerstehen).
Aus Cottbus kam noch jemand mit einer Kur; Pius, zu einer Aussage nach Gneez befohlen. »Tempel der großen Freude« brachte er, und einen Tadel: tatsächlich war uns keine Anzeige vorgelegt worden von Lockenvitz’ Hand, von ihm unterzeichnet. Die Herren der Untersuchung waren vorgegangen nach der Ahnung, der Täter müsse Helfershelfer eingespannt haben. Wer aber schreibt gut und gern auf der Maschine, worum ein junger Mann sie bittet? die Mädchen sind es. – Und gerade du, Gesine! Für dich hat er gesorgt!
(Das war verdient. Denn nach den Osterferien 1951, die nunmehr Frühjahrsferien heißen sollten, war Dieter Lockenvitz ausgestiegen aus der Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf & Co. Blieb schlicht weg; ohne Erklärung. In der Klasse wegen eines Streites befragt, hatte er angegeben: er sei nun einmal verliebt in die Gesine Cresspahl; unmöglich vermöge er Stunden lang die Gunst auszuhalten, die sein Nebenbuhler Pius genieße. Danach hatten Pius und ich öffentlich ihm einen Vogel gezeigt, einen tippenden, fragenden Zeigefinger gegen die Schläfe; jedoch ihm seinen Willen gelassen. Er hatte sich ausgerechnet, daß man der Schülerin Cresspahl seit mindestens acht Monaten keinen Umgang mit ihm nachweisen könne; mit einem seiner Fehler.)
Der Prozeß gegen Lockenvitz wurde
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