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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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    Solange wir unwiderruflich nach New York gebucht sind für morgen früh, will sie eine Stadt an einem Mississippi ertragen. Zwar, er kommt ihr gelb vor, schmutzig; seine Hafenfähre kommt schlecht weg beim Vergleich mit der in ihrer Stadt. Auf die Balkongalerien in Vieux Carré, die Kunstschmiedegitter vor den Innenhöfen, darin die Magnolienbäume mit ihren langen blanken Blättern, den weißroten Blüten, auf all das blickt sie als ein Zitat aus jenem Europa, das ihr am Dienstag immer noch spät genug auf den Leib rücken wird; sie vermeidet zu klagen aber erwähnt die schwere warme Feuchtigkeit, den muffigen, kühlen Geruch, – nach Friedhof: so empfindet sie es nun einmal; Mrs. Cresspahl schaudert es bei der Voraussicht auf eine Besprechung über Zufall, da sie erweitert sein wird auf Ahnungen. Was Marie gelten ließ, war ein weitläufiges Krankenhaus vom Jahrhundertanfang, das würdige Bürger dunklerer Hautfarbe besorgt blickend verließen. Zeitungen auf gelbem und lila Papier, es ist ihr gerade als Unterschied recht. Die Restaurants findet sie schmutzig, an den unbenutzten Stellen; die Bratplatten sind nur in der vorderen Hälfte blank, statt wie in New York gänzlich poliert. Manche Straßen, nahe der Canal Street, so ärmlich kaputt, daß auch Mrs. Cresspahl sich fragte, wie denn man hierher gelange: doch kaum mit Flugzeugen. In einer Imbiß-Stube eine Katze, die blickte begehrlich auf Maries doppelstöckiges Sandwich, sie hat dem Kind gefallen.
    Am 9. Juni 1953 machte der Sachwalter der ostdeutschen Republik seiner Bürgerin Gesine Cresspahl einige Vorschläge, ihre Rückkehr unter seine Fuchtel betreffend.
    Seine Partei gedenke nunmehr zu verzichten auf eine unmenschliche von ihren Tugenden, die Unfehlbarkeit: sie habe in der Tat Fehler begangen. Eine Folge sei gewesen, daß zahlreiche Personen die Republik verließen. Dies gilt Ihnen, Frl. Cresspahl!
    Da die Partei es fertig gebracht habe, Peter Wulff wie angekündigt die Waage auf Null zu stellen, auf null Gramm! wie sie ausgerufen habe in ihrem Eifer, so wolle sie sich überwinden zu der Erlaubnis, daß er das Lebensmittelgeschäft neben seinem Krug von neuem eröffne. Auch gedenke sie ihn mit Waren zu beliefern. Des weiteren, er solle einstweilen keine Sorgen sich machen wegen der ausstehenden Steuern seit 1951 und der Beiträge zur Sozialversicherung. Schluß mit den Zwangsmaßnahmen, Herr Wulff!
    Nun zu Ihren anderen Leuten in der Republik, Frl. Cresspahl. Bestrebt, uns treu zu bleiben, haben wir einen genossenschaftlichen Hof an der Ostsee bei Jerichow verwandelt in einen »devastierten«, so daß kein Treuhänder dem auch nur mit der Feuerzange näher rücken wollte. Wenn Frau Sünderhauf, Herr Leutnant, Frau Schurig, Frau Winse mit all den Kindern Inglischminsch, Epi, Jesus, Huhn und Häuneken sowie auch denen unter achtzehn Jahre alt zurückkommen möchten auf Johnnys Versuchswirtschaft, so soll ihnen das Eigene zurückgegeben und geholfen werden mit Krediten wie Inventar. Wie gefiele Ihnen das, Gesine Cresspahl.
    Wir haben im Ernst vor, Ihren Georg Utpathel aus der Strafhaft nach Hause zu schicken, wie überhaupt Leute, die nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums zu bloß drei Jahren verurteilt sind. Vorbehalten möchten wir uns jene, denen wir schwereren Schaden nachsagen, also Johnny Schlegel, diesen berüchtigten Atheisten und Adelsfeind. Aber vielleicht ließen wir wegen Otto Sünderhauf mit uns reden?
    Sie waren ergrimmt auf uns bei Ihrem letzten Besuche in Wendisch Burg, weil wir da ein Mädchen namens E. Rehfelde so lange getriezt haben wegen ihres evangelischen Glaubens und ihres Festhaltens an der Kirche, bis dann auch Klaus Niebuhr und seine Ingrid Babendererde auf ihr Abitur verzichteten, aus dem Lande gingen, damit doch für ihre Teile eine Gleichheit bewahrt bleibe vor der Verfassung. Die Rehfelde soll wieder zugelassen werden zum Unterricht, Frl. Cresspahl. Wenn die Schüler Niebuhr und Babendererde sich entschließen zu einer Rückkehr nach Wendisch Burg, ihnen soll verstattet sein, die versäumten Prüfungen zur Reife nachzuholen. Na, wie wärs?
    Was nun Sie selber angeht, stud. phil. Cresspahl. Wir haben eine Ausnahme gemacht, als wir Sie zum Studium zuließen. In Zukunft wollen wir es grundsätzlich so halten mit befähigten Jugendlichen aus den Mittelschichten. Wenn wir da absehen von einer Benachteiligung, Sie kriegten am Ende noch ein Stipendium, Frl. Cresspahl.
    Auch zu Ihrem

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