Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Vorsitzenden und Sekretären Zeit lassen, sich einzuarbeiten. Sie haben ein Anrecht auf diese Zeit, entweder um sich zu bewähren, oder um ihren Mangel an Eignung zu erweisen. Darüber hinaus kann man in den zentralen politischen Organen nicht viel erwarten. Ohnehin haben sie, nolens volens, bemerkenswerte Tugenden gezeigt.
Die praktische Qualität der zukünftigen Demokratie hängt jetzt davon ab, was mit den Fabriken und in den Fabriken geschehen wird. Bei allen unseren Diskussionen kommt es letzten Endes auf die Wirtschaftler an. Es gilt jetzt, Ökonomen zu suchen, die ihr Fach verstehen, und sie auf die richtigen Stellen zu setzen. Es ist zwar wahr, daß wir alle, im Vergleich mit den entwickelten Ländern, schlecht bezahlt werden, einige von uns noch schlechter. Wir könnten nun mehr Geld verlangen. Aber das läßt sich in beliebiger Menge drucken, damit also entwerten. Darum sollten wir lieber die Herren Direktoren und Vorsitzenden auffordern, uns Rechnung zu legen darüber, was und zu welchen Kosten sie produzieren wollen, wem sie es zu welchem Preis verkaufen wollen, welcher Gewinn dabei herauskommen soll, welcher Teil des Profits in die Modernisierung der Produktion investiert und was davon verteilt werden kann. Die scheinbar langweiligen Überschriften in unseren Zeitungen spiegeln jetzt einen harten Kampf wider, in dem es um Demokratie oder Futtertröge geht. Hier können die Arbeiter als Unternehmer eingreifen, indem sie sich ansehen, wen sie in die Verwaltungen der Fabriken und die Werkräte wählen. Als Angestellte können sie jetzt ihren Vorteil achten, wenn sie als ihre Delegierten in die Gewerkschaftsorgane die Vertreter ihrer Interessen wählen, fähige und anständige Menschen, ohne Rücksicht auf eine Parteizugehörigkeit.
Wenn gegenwärtig von den zentralen politischen Organen nicht viel zu erwarten ist, so muß um so mehr in den Bezirken und Kreisen erreicht werden. Wir verlangen den Rücktritt jener Leute, die ihre Macht mißbraucht, das öffentliche Eigentum geschädigt, die schändlich oder grausam gehandelt haben. Man muß Mittel anwenden, die sie zum Rücktritt zwingen. Zum Beispiel: Öffentliche Kritik, öffentliche Beschlüsse, Demonstrationen, demonstrative Arbeitseinsätze, Spendensammlungen für ihren Ruhestand, Streik, Umgehung ihrer Büros. Jedoch muß auf alle Aktionen ungesetzlicher, unehrenhafter oder faustrechtlicher Art verzichtet werden, da sie damit Alexander Dubček in den Ohren liegen würden. Unser Abscheu gegen das Schreiben widerlicher Briefe ohne Unterschrift muß so allgemein werden, daß jeder derartige Brief, den sie noch bekommen werden, gelten kann als Post, die sie sich selbst geschrieben haben.
Bringen wir Leben in die Arbeit der Nationalen Front. Verlangen wir, daß die Nationalausschüsse öffentlich tagen. Bei Fragen, die nicht bearbeitet werden, bilden wir unsere eigenen Bürgerausschüsse und Kommissionen. Das ist ganz einfach: Ein paar Leute kommen zusammen, wählen ihren Vorsitzenden, lassen vorschriftsmäßig Protokoll führen, veröffentlichen ihre Angelegenheiten und lassen sich nicht einschüchtern. Verwandeln wir die lokale und die Bezirkspresse, die meist zu einem amtlichen Sprachrohr heruntergekommen sind, in eine Tribüne aller nützlichen politischen Kräfte. Verlangen wir, daß Redaktionsräte mit Vertretern der Nationalen Front besetzt werden, oder gründen wir andere Zeitungen. Bilden wir Ausschüsse mit der Aufgabe, die Freiheit des Wortes zu verteidigen. Ziehen wir für unsere Versammlungen einen eigenen Ordnungsdienst auf. Wenn wir über bestimmte Personen anrüchige Geschichten erfahren, so laßt uns die prüfen auf ihren Gehalt an Wahrheit, dann eine Delegation zu den zuständigen Organen schicken und deren Befund veröffentlichen, wenn nicht anders durch Anschlag an den Toren.
Unterstützen wir die Organe der Polizei, wenn sie wirkliche Straftaten verfolgt. Es ist nicht unsere Absicht, Anarchie oder einen Zustand allgemeiner Unsicherheit herbeizuführen. Vermeiden wir Streit unter Nachbarn, betrinken wir uns nicht, wenn wir politische Dinge zu besprechen haben. Aber entlarven wir Spitzel!
Die belebte sommerliche Bewegung in der gesamten Republik fördert auch das Interesse für eine neue Regelung der staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Böhmen und der Slowakei. Wir betrachten die Föderation als eine Möglichkeit, die nationale Frage zu lösen. Davon abgesehen, ist sie nur eine der bedeutsamen Maßnahmen, Demokratie in unseren
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