Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Personalchef, dies Netz hat nicht er einmal erkannt, bewegt fängt er an zu klagen über die Hitze in den stehenden Zügen heute morgen. Mrs. Cresspahl wird sich nicht hindrängen lassen zu rein weiblichen Themen. Mag unser angeblich allseits verehrter Vizepräsident nun referieren über Rips barré, Rips ottomane, Rips ondé; die Dame hört ihn gar nicht, hingegeben lauscht sie Kennicott II , nichts scheint ihr wichtiger als wie es war auf der Montauk-Linie, wo achtzehn von 24 Zügen aus Babylon ausfielen. Sie nickt, sie kann sich das vorstellen, wer will da zweifeln.
Kurz vor den spätägyptischen Beweisen für Rips ist es de Rosny zu langweilig geworden; gütig läßt er Mr. Gelliston (Harvard Business School) und Mr. Wendell aufsagen, wie die Politik der Offenen Tür wuchs und Gedeihen zeitigte unter McKinley, Roosevelt, Wilson, von der Konferenz von Algeciras bis zu den Erlassen Webb-Pomerance und Edge, die Bedürfnisse amerikanischer Wirtschaft als Akt und Gesetz und des Weißen Mannes Bürde. Nun haben wir aber doch eine Dame am Tisch, die ist nicht nur sein Entzücken und seine Zierde, sondern auch ausgebildet im Marxismus. Nun, Mrs. Cresspahl?
– It is the indispensable duty of all the nations of the earth: sagt sie wie bereitwillig, erst beim fünften Wort des predigenden Tons sicher, fast zu tief hineingefallen in den kugeligen Hohlraum, den das d-j-u ihr in die Kehle grub: To know that the LORD he is God, and to offer unto him sincere and devout thanksgiving and praise. But if there is any nation under heaven, which hath more peculiar and forcible reasons than others, for joining one heart and voice in offering up to him these grateful sacrifices, the United States of America are that nation.
Beifall. Gelächter. Sie wird ja doch rot, warum es verbergen wollen. Ohnehin nimmt es sich weiblicher aus, niedlicher, vermindert den Erfolg. Auch ist sie wiederum zu wütend gewesen, mehr noch als sie den Sermon las in einem Schulbuch Maries, datiert fünf Jahre nach der Französischen Revolution. Um dies Datum geht es jetzt in einem Wettraten, sie darf den Preis vergeben, sie schlägt am Ende ein Jahr auf, um ihn über de Rosny hinweg an Henri Gelliston zu reichen. Der Chef hat so herzlich gelacht, seine Augen können mit nichts anderem beschäftigt sein, sie erkennt das geringfügige, billigende Nicken.
Das Gespräch geht nun über Dialektik, den Bahnstreik, die Hitze, in vorsichtigem Kreis immer rund um die Politik. Nicht einmal wird das Flugzeug erwähnt, das gestern mit 214 amerikanischen Soldaten an Bord von sowjetischen Kampfjägern zur Landung auf den Kurilen gezwungen wurde: de Rosny mißbilligt die Politik des gegenwärtigen Präsidenten, warum ihn zwingen zu peinlicher Wiederholung. (De Rosny ist am 16. März nicht empfangen worden im Weißen Haus.) Gebühren für Ferienlager, den Kaffee, Urlaubspläne. Mr. Kennicott II bekommt Hinweise auf Restaurants in Amsterdam. Eins ist ihm schon empfohlen worden, irgend wie nach einem gelben Vogel heißt es. Da möchte de Rosny ihm doch abraten. Will Mr. Kennicott denn auch im Niederländischen mit Amerikanern zusammen essen oder mit den Leuten von der Börse? De Rosny kennt da eins, dunkle Wandtäfelung, solide Möbel, väterliche Kellner, da zittert der Fußboden, das heißt wie Latein in der Schule, es heißt … – Könnten Sie Dorrius meinen? sagt die Angestellte Cresspahl vorsichtig, schülerinnenhaft, sie will es ja nicht übertreiben an diesem einen Tag. (Sie hat das Dorrius bloß von außen gesehen, es war zu teuer für sie; sie weiß davon mehr durch D. E., dem freilich alle Dinge zum Guten dienen sollen.) De Rosny steht nun frei, ihr den Abgang zu vermasseln, ebenso kann er sie auszeichnen sichtbarlich unter und vor seinen Schülern.
– Dorrius heißt es! ruft de Rosny aus.
– Drei Ausgänge hat es: fügt seine Mrs. Cresspahl bescheiden hinzu.
Sie bekommen Applaus für ihr Duett, de Rosny verbeugt sich für beide, bis zum Fahrstuhl geht die amüsierte Unterhaltung über Dialektik. Da wird sie ihn nicht los, immer noch nicht zieht de Rosny sich zurück in seine erlesenen Gemächer, ehrenvoll begleitet er seine Mannschaft hinunter in ihren Kanzleisaal. Dann war es doch Mrs. Cresspahl, und nicht um Ehre geht es, sondern um ein Wort hinter ihrer geschlossenen Tür. Sie ist mit einem Mal so ängstlich, sie bleibt stehen mitten in dem für ihre Arbeit hergerichteten Raum.
Auch de Rosny verlangt es nicht nach einem Sitzplatz. Lehnt an der Tür,
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