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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Vizepräsidenten aller Vizepräsidenten, des Zweiten Vorsitzenden im Aufsichtsrat; hier empfängt er Staatsbesuche von der Konkurrenz, hier veranstaltet er seine Seminare mit den Direktoren der ausländischen Bereiche; heute mittag kam er mit Mrs. Cresspahl. Sie mag einen heimlichen Auftrag für ihn bearbeiten, etwas Statistisches wahrscheinlich, sie bleibt doch eine von den Entbehrlichen, denen mit der vierzehntägigen Kündigungsfrist; dennoch, wen immer er an seinen Tisch beorderte mit Nicken oder Zuruf, alle haben sie diese Mrs. Cresspahl begrüßen müssen in den gehörigen Formen, dabei hatten manche sie an diesem Tag schon getroffen und sich begnügt mit einem gewöhnlichen Hi. Hi. Nunmehr hat es heißen müssen: It is a pleasure –; sie sitzt nun zur rechten Hand de Rosnys, als wären sie beide Gastgeber für die schwer verantwortlichen Herren. Ist doch bloß eine Frau. Was immer de Rosny vorhat, er wird es durchsetzen; dies ist das Richtige nicht. Was will die hier!
    Sie wünscht sich weg. Sie möchte nach unten, auf die Straße, in die Mittagspause. Unten mag es heiß sein, 95 Grad sind vorausgesagt, da hätte sie über die Avenuen Lexington und Madison auf die Fünfte gehen können, Blusen einkaufen wie andere »Mitarbeiter«, denen nach Arbeitsschluß die Zeit fehlt für Kaufhäuser, sie könnte sitzen in Gustafssons Fischladen an der Zweiten, etwas angelehnt, zusammen mit Amanda Williams, mit Mr. Shuldiner, mit Freunden, in Gesprächen, wo sie nicht aufpassen muß an jeder Ecke wie ein Schießhund. Für solch lockere Stunde, die vertraglich zugesicherte, gäbe sie gern die arktische Kühle, wie sie die Maschinen für Chefs erzeugen. Sie weiß ja, es wird nicht dauern. Sie gehört zu den anderen in der Stadt, die können solche Apparate weder erwerben noch unterhalten. Wenn sie heute abend zurückkommt auf die Obere Westseite, über ihr werden nur wenige von diesen teuren Kästen aus den Fassaden ragen, auf den Stufen werden die Leute sitzen, Schonung bloß vom natürlichen Schatten erwartend, bloß die Fenster können sie hochschieben und hoffen, sie erwischten eine Brise von der Luft, die in den Kanälen der Straßen ins Laufen kommt. Marie wird die Wohnungstür offen halten, um einen Durchzug zwischen dem Hudson und dem Treppenhaus zu erzwingen, Einbrecher hin, Räuber her. Der Strom kann weggeschaltet sein, der Gasdruck gesunken, die Wasserhähne verdurstet. Die Feuerwerker werden wieder zu wenig Sprühkappen auf die Hydranten gesetzt haben, so daß die Kinder sich helfen müssen mit Gewalt, damit sie umherhüpfen können in den sprühenden Strahlen, die gegen das Feuer gut sein sollten. Wer daran abends vorbeifährt in verriegelten, automatisch gekühlten Autos, wird new yorker Folklore vermuten und nicht einen Mangel an Duschvorrichtungen in den armen Straßen. Nach der schweren Luftmasse, die seit gestern vom mexicanischen Golf so mühsam hereintreibt über New York, werden andere die Stadt besuchen, und niemals wird eine Mrs. Cresspahl angemeldet sein beim Komfort der doppelt und dreifach gesicherten Versorgungssysteme; schon diese eine Stunde zuviel in der klimatisierten Festung der Bank kann schädlich sein für das Training zum Leben in New York. Da de Rosny es wünscht, sitzt sie mit dem Rücken zum Norden in der Kälte, und die Luftströme aus den Lamellen hinter ihr streicheln ihr den Rücken, daß aus dem Schauern oft beinahe ein Zittern wird.
    Sie ahnt, worauf de Rosny hinaus will mit ihr in dieser Gesellschaft von Herren mit mehrfachen Vorrechten; sie weiß nicht sich gemeint. Von seinesgleichen befragt, würde er etwas von sich geben über die Gleichberechtigung der Frau, geradezu das Wort Emanzipation nähme er in den Mund mit jenem heiteren Ernst, dem selbst seine Freunde von der Westküste nicht so leicht Spott unterschöben. Dann gälte es als eine seiner Launen, und ein winziger Fehltritt hätte jene Mrs. Cresspahl verwandelt in ein Opfer. Solange sie sich gerade hält und dennoch ihre Schritte ohne Fehler setzt, kann er seine Untergebenen, wie immer männlich, gewöhnen nicht nur an die Anwesenheit einer Frau bei dienstlichen Mahlzeiten, auch an ihre Fähigkeit zum Mitsprechen, damit sie eines Tages mit ihr sprechen werden in einem Geschäft, in dem sie de Rosny vertreten wird, von einem Land aus, das kennen die kaum … davon sprechen wir nicht. De Rosny hat angefangen mit Einladungen in solche Lokale wie das Brussels oder das Quo Vadis, da sollte Seinesgleichen, Freund wie

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