Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
So war Johnny, jede Freude verdarb er einem. Erbittert ging der Knabe ab zum Satteln.
Nun machte Johnny mit Cresspahl einen Schnellkurs in den Sachen, die der seit dem Herbst 1945 verpaßt hatte, von der Gründung der Sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland bis zu den Landtagswahlen und jenem gneezer Studienrat, der in diesem Mai auf zwei Jahre in den Kahn hatte gehen müssen, weil er früheren Schülern Ehrengutachten für Schulen in Westberlin schrieb: der Schüler Piepenkopp ist charakterlich gefestigt, dessen gleichen. Das war eine Verbindung zum Friedensfeind. Der hat dem Weltfriedensfeind junge Menschen in die Fänge getrieben! Johnny hatte sich für gutes Rapsöl bei Richard Maaß ein Buch mit weißen Seiten anfertigen lassen, darin schrieb er fast täglich etwas. Vom Putsch der Kommunisten in Prag las er Cresspahl vor, die S. E. D. wünschte sich von den Deutschen, sie machten es ebenso. Leute wie du und ich. Jan Masaryk, der tschechoslowakische Außenminister, sei freiwillig aus dem Fenster gesprungen. Ob Cresspahl jemand wisse, der bei uns aus dem Fenster springen wolle, wenigstens in Mecklenburg, damit es hier so komme wie da? Dann erklärte er ihm, was »Freie Spitzen« waren. So hießen seit kurzem Ernteerträge, die nach Ablieferung des Solls zu einem besseren Preis frei an die Wirtschaftskommission verkauft werden durften. Cresspahl wollte daran die Neuigkeit erkennen, daß einem landwirtschaftlichen Betrieb wieder ein Arbeiten mit Gewinn erlaubt war. Ja. Im Prinzip: Wohl. Aber seit Johnny von solchen Förderern wie Oberst Golubinin hatte Abschied nehmen müssen, kam ihm oft die V. K. A. auf den Hof. Die Leute von den Volkskontrollausschüssen. Die zeigten Zettel wegen der »Überwachung der Produktion und des Warenverbleibs«, setzten einem dann das Soll höher, wie sie es verstanden. Was verband einen Postmenschen wie Berthold Knewer mit Triticum vulgare, einmal abgesehen von Triticum aestivum? So daß manche Bauern zum Preis der Freien Spitzen würden zurückkaufen müssen, was sie gegen den Preis für das Soll abzuliefern hatten. Nee –; Johnny nicht, er wirtschaftete ja mit den anderen Leuten auf dem Hof in einer Kommune. Gerade diese fortschrittliche, moest du doch seggn, eben das Fortgeschrittene an Johnnys betrieblicher Organisation war dem gneezer Staatsanwalt ein Dorn im Auge. De Minsch wart oeller as ne Kauh … Cresspahl bewies, daß auch er inzwischen etwas gelernt hatte, was immer ihm entgangen war. – Liggt dat Bauk gaud? fragte er. Johnny nickte in seiner Hoffart, unbesorgt. Sein Buch lag fünf Jahre später zu schlecht versteckt, und da er es frecher Weise für einen Roman ausgab, kam er erst 1957 wieder frei. Vorläufig saß er bei einem nackten Freund auf der Bank und goß ihm behutsam frisches Wasser nach.
– Dor hest du din’ Seehunt! sagte Johnny Schlegel, als er Cresspahls Tochter an den Bottich führte, der nun mit zwei Frühstücksbrettern abgedeckt war. Es war ganz falsch, denn Cresspahl hatte keinen Bart, sein Kopf war ein Turmschädel; auch heißt in Mecklenburg Einer Seehund, der mit gewagten Streichen lustig durchkommt. Cresspahl war nicht heil durchgekommen. Es paßte ein wenig, wegen des blanken Blicks aus einer Entfernung, die nicht abzuschätzen ist. – Hei bitt di nich: sagte Johnny und das Cresspahlsche Kind wünschte inständig, er werde sie nicht allein lassen mit diesem Menschen. Anfangs sah sie nur die Ohren, die so falsch auffielen neben dem mageren dünnen Gesicht. Sie hatten ihn kahl geschoren, die nachgewachsenen Stoppel sahen schmutzig aus. Der Kopf zwischen Bottichrand und Brett schien abgeschnitten, auch weil die Arme verborgen waren. Sie wußte nicht wo die Augen lassen, sie schämte sich in Grund und Boden, sie hätte fast geweint. Da war Johnny längst verschwunden aus seinem eigenen Garten.
– Ick hev di wat mitbröcht: sagte der Fremde mit der Stimme ihres Vaters.
Johnny vollführte auf der Diele einen heftigen Auftritt mit Axel Ohr. Es ging darum, daß Axel den Fuchs auf die Wiese gelassen hatte in seiner gedankenlosen Art. Axel ging auf, daß er für die Überführung dieses Cresspahl nach Jerichow noch einmal den Fuchs bekommen sollte, und den Gummiwagen. Den kostbaren Gummiwagen, der einem Pferd so viel Spaß machte, es lief davor ganz von allein. Er würde fahren wie ein junger König. Na -: Vizekönig. Nicht auf der Hinfahrt. Jedermann mit Augen im Kopf, wenn auch kaum ein Mädchen wie Cresspahls Tochter, konnte im
Weitere Kostenlose Bücher