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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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gern bereit sind sie zu Gesprächen mit einzelnen Partnern. Inzwischen bleiben zwei sowjetische Regimenter in der Č. S. S. R., obwohl die Manöver seit dem 30. Juni abgeschlossen sind. Es fehle ihnen an Reparaturwerkstätten: erklären sie. Sie kriegen nicht genug Frachtraum auf der Eisenbahn: klagen sie.
    Das blaue Maschinistenzeug, das Cresspahl von Johnny Schlegel geliehen hatte, war unzweifelhaft sauber, denn Inge hatte es gewaschen. Cresspahl zog es an für wenige Stunden am Tag. Als sei er in dem Halbtagesbad bei Johnny nicht rein genug geworden, saß er noch oft in einer Wanne voll Wasser in der Küche, wenn wir aus dem Haus waren.
     
    – Wenigstens hast du ihn nun zurückgeholt von den Russen, und ich danke dir: sagt Marie. – Beglückwünschen will ich dich auch, wie es sich gehört. Aber von dir war ja kaum zu erwarten, daß die Rote Armee ihn zurückbringen muß in einem Mercedes mit Motorrad-Eskorte. Unschuldig wie er war.
    – Er hatte ein Urteil.
    – Freispruch ist ein Urteil.
    – Er wußte den Wortlaut nur ungenau; die Zahlen waren ihm bloß vorgelesen worden. Da es aus dreien bestand, müssen es die Absätze 6, 7 und 12 des Paragraphen 58 gewesen sein.
    – Von sowjetischem Strafrecht?
    – Von sowjetischem. Aus dem Jahre 1927, teilweise.
    – Da war er in England, Gesine.
    – Deswegen machten die Briten ihn zum Bürgermeister in Jerichow; den Briten konnte er etwas verraten haben über den Flugplatz von Jerichow, ehe der sowjetische Stadtkommandant K. A. Pontij einzog mit seiner Herrlichkeit. Nach Absatz 6, Spionage, Freiheitsentzug bis zu drei Jahren.
    – Absatz 7.
    – Diversionsakte gegen Wirtschaft, Verkehr, Geldumlauf; auch zu Gunsten früherer Eigentümer.
    – Wenn jemand nach dem Krieg in Jerichow gelebt hat wie ein Filmschauspieler, war es dein Pontij, Gesine.
    – K. A. Pontij hatte seine Aussage nicht verbessert. Wir haben ihn so gesucht, der mochte inzwischen in Krassnogorsk einsitzen wegen des selben Absatzes.
    – In die Wirtschaft von Jerichow hat er wahrhaftig eingegriffen.
    – Cresspahl aber auch. Hat er nicht auf die Sperrkonten der geflohenen Gutsbesitzer zurückgebucht, was er da borgen mußte für städtische Löhne?
    – Absatz zwölf bestraft die Tatsache, daß Einer von den Sowjets eingesperrt ist.
    – Das tat Absatz 10. Mit dem wurde ihm gedroht für den Fall, daß er etwas aus seinem Leben bei ihnen erzählte; antisowjetische Propaganda und Agitation. Nein, unter der Nummer 12 wurde ihm die Nichtanzeige von konterrevolutionären Verbrechen vorgeworfen. Nicht weniger als sechs Monate.
    – Robert Papenbrock.
    – Oder daß er die Besuche von Erwin Plath nicht meldete. Die geheime S. P. D. Oder daß er nicht selber eine amtliche S. P. D. in Jerichow zusammenbekam, weil Alfred Bienmüller das für einen Unsinn ansah.
    – Die Bildung von Parteien hat der sowjetische Stadtkommandant verboten!
    – Pontij stand da nicht als Zeuge in Schwerin. Da war jemand von der sowjetischen Militärpolizei mit angelegter Maschinenpistole, dazu drei uniformierte Richter. Er konnte die übrigens ablehnen, wenn er die für befangen ansah.
    – Dann ist er ja viel zu früh rausgekommen! Allein nach Absatz 6 und zwölf hätte er in Haft bleiben müssen bis Oktober 49.
    – Bei Strafantritt am Tag der Urteilsverkündung bis August 1952.
    – Ihr habt Glück gehabt, Gesine.
    – Bloß Glück. Denn erst im Juni 1947 hatte Väterchen Stalin die Todesurteile abgeschafft, die »höchste Norm des sozialen Schutzes«. Ein S. M. T. in Deutschland gab in der Regel fünfundzwanzig Jahre Strafarbeitslager. Die Entlassungen aus den Lagern auf sowjetdeutschem Boden fingen erst im Juli 48 an. Im August verurteilte das schweriner Tribunal einen Rostocker namens Gustav Cub und acht andere wegen Verbindung zu einem ausländischen Nachrichtendienst zu insgesamt 185 Jahren Arbeitslager.
    – Warum bekam Cresspahl eine Ausnahme, Gesine?
    – Das war sein Unglück. Es brachte ihn nun in Verdacht, er sei für das Anzeigen anderer Leute ein wenig belohnt worden.
    – Die Leute in Jerichow kannten ihn seit 1931. Seit 1931!
    – Er war nicht neugierig auf die Leute von Jerichow. Heute meinen wir, die Sowjets hätten doch etwas erfahren von Cresspahls Nachrichtensammelei für die Briten im Krieg und wollten ihn aufsparen.
    – Wenn es einen Absatz 10 gab, wie konnte er euch aus Schwerin erzählen?
    – Nichts hat er uns erzählt. Wohl acht Jahre später, als ich längst weggegangen war aus Mecklenburg,

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