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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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bekam Jakob ein Wort zu hören, oder zwei. Er hatte da Niemanden sonst.
    – Nun war er ängstlich. Wär ich auch gewesen. Auf Ehre.
    – Marie, er war krank. Seine Wasserkuren … Wir konnten ihn nur mit Mühe abhalten, noch am ersten Abend aufs Rathaus zu gehen und sich anzumelden mit der vertraulichen Bescheinigung über seine Abwesenheit. Der Cresspahl von früher hätte sich den Bürgermeister ins Haus bestellt. Denn zur Abwechslung war nun einmal Berthold Knewer im Amte, höher gestiegen als je Postamtsvorsteher Lichtwark, ganz zappelig und verdruckst geworden unter seinen ehrenvollen Bürden. Knewer wäre gekommen wie unter einem Befehl, unruhigen Gewissens. Dem war es eher recht, daß Jakob ihm den Schein hinhielt und eine Lebensmittelkarte für Cresspahl verlangte ohne jeden Augenschein. Knewer stand eine ganze Weile mit dem Rücken zu Jakob, seufzend; das war der erste, dem die Rückkehr seines ehemaligen Vorgesetzten peinlich kam. Jakob, weißt du, wenn er erzählte, konnte von einem Lachen in der Kehle überrascht werden, als täte er zu seiner Lustigkeit noch den Spaß dazu, den er dem Zuhörer machen wollte. An Jakob war sehr zu sehen, wenn er sich freute. Cresspahl blieb besorgt, er könne gegen die Vorschrift verstoßen haben, als sei die Obrigkeit im Recht, bloß weil sie ins Recht gesetzt war.
    – Haftfolgen.
    – Du sollst nicht an die Bücher in der obersten Reihe gehen, du!
    – Ich weiß es aus der New York Times.
    – Es war weniger schlimm, daß ich ihn immer sitzend antraf, wo immer im Haus er war. Saß stumm und höflich an Lisbeths Sekretär, am Küchentisch, auf der Milchbank. In seinem Gang war ein Zucken übrig geblieben, er hatte sich für den Schaden vor Johnny und Inge nicht geschämt, Axel Ohr durfte sehen, wie er vom Wagen stieg; mir wollte er so nicht unter die Augen kommen.
    – Darauf wär ich stolz gewesen. Als Tochter.
    – Seine Tochter war eher in Angst, bis das Humpeln sich verlor. Und schlimm war, daß er Axel Ohr nicht hatte über die Stadt-, die Stalinstraße fahren lassen, um es den Bürgern von Jerichow mal zu zeigen; daß wir hineinschlichen über den Friedhofsweg von Westen, so daß er eine Zeit lang ein Gerücht blieb. Daß er abwinkte, wenn Jakob ihn noch so beiläufig einlud in die Stadt. Daß ich manchmal bei den Schularbeiten seinen Blick fühlte, als könne er sich nie daran gewöhnen, daß mein Profil in der und jener Linie weich wurde um die Augen, daß meine Haare ganz glatt fielen und dennoch über den Zöpfen eine winzige Welle setzten. So hatte mich noch nie ein Mensch angesehen.
    – Mich schon, Gesine. Ich weiß auch wer. Dir aber tat er nicht mecklenburgisch genug.
    – Nun habe ich es auch gelernt, den Beruf des Elternteils.
    – Das meinte ich, Gesine. Aber in deiner Achtung hatte er verloren.
    – Ach was! Verlegen war ich, ängstlich. Sprach nicht ohne Aufforderung mit ihm. Denn mir war schon bange, daß ich Tanzunterricht genommen hatte zu einer Zeit, da er im Lager war oder tot, vielleicht. Ganz zu schweigen von dem Empfang, den ich für Robert Papenbrock veranstaltet hatte.
    – Was für ein Zeugnis gab er dir?
    – Hanna Ohlerich war recht unverhofft weggebracht worden aus dem Haus. Cresspahl überging das. Ich erzählte ihm davon noch einmal, was ich über die Lippen brachte, hab auch gelogen in der Not. Er nickte. Der Atem ging mir so hoch, ich mußte den Kopf abwenden, weil er mich so unverwandt betrachtete in seiner neuen Art. Wegen Robert Papenbrock holte ich Jakob dazu, als Zeugen, aber Jakob erzählte es so, als sei Cresspahls Verwandter freiwillig aus dem Haus gegangen, nach ein paar Worten über das Wetter. Über die Wahrheit war Cresspahl fast erfreut. Für die Tanzstunde bedankte er sich bei Frau Abs. Mit Jakob ging er vorsichtig um; bei dem glaubte er sich in einer Schuld, die schwer zu entgelten war. Was aber mein zickiges Benehmen gegen Brüshaver oder die Olsch Papenbrock anging, so wurde es abgeschafft; Brüshaver blieb fast der Mund offen, als Cresspahls Tochter ihn als erste grüßte, und gehorsam. In meinem Streit mit Brüshaver wegen der Religion bekam ich recht; in die Konfirmation ging ich aus freien Stücken.
    – Bestanden.
    – Mit Ach, mit Krach. Mit Jakob konnte Cresspahl viel besser sprechen; Jakob war der geschicktere Arzt. Denn ich kam an mit Alexander Paepckes Tante Françoise, die als Angehörige des Mecklenburgischen Landtags das Haus in Althagen freibekommen hatte für sich, diese würdige Greisin; Cresspahls

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