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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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alten Frau Papenbrock wird ernstlich behauptet, sie habe ihre Brotpreise nach unten abgerundet. Wahr ist vielmehr, daß sie in diesen Tagen weniger als das Mindestsoll backen ließ und daß Fräulein Senkpiel die Abrundung anbot, nach oben. Frau Papenbrock überwand einmal die Verachtung gegen ihren Schwiegersohn und wollte von Cresspahl einen Rat, da von ihren Konten sämtliche Guthaben schon einen Tag vor Verkündigung des Befehls Nr. 111 der S. M. A. D. abgebucht worden waren, das mochten die verlegenen Herren auf der Stadtbank ihr nicht erklären. Cresspahl versicherte ihr wider bessere Vermutung, daß die Sowjetmacht nur von lebenden Angeklagten das Guthaben einziehe und verschonte sie mit der Aussicht, daß sie an Alberts Freilassung nicht im Traum denken durfte. Deswegen vergaß sie doch das Angebot, ihm den an seiner Kopfquote fehlenden Betrag vorzustrecken; mit zierlich angehobenem Doppelkinn drehte sie sich um, fast genau auf der Stelle, gab ihm nicht die Hand, befriedigt über ihre vorausgesehene Enttäuschung, für die allerdings beschreibende Worte gefehlt hätten. (Sie war zum ersten Mal seit 1943 im Haus.) Noch über Sonntag war das Geld nicht ausgehungert, jagte die Leute umher mit seinen nutzlosen Angeboten, ließ sie zappeln gleich Fischen auf dem Trockenen. Wegen Jakobs Mutter waren alle im Haus besorgt, denn solchen Siedlungen, wie Jakob sie ausgeschlagen hatte nach dem Krieg, wurden die Kredite nun im Verhältnis Eins zu Fünf abgewertet, die Absens hätten nur noch bis 1955 abzahlen müssen statt bis 1966 für jenen Besitz, den Frau Abs bloß wünschte, um ihren Mann mit etwas empfangen zu können. Sie war sich bewußt, sie würde solche Wirtschaft kaum haben regieren können; es war die Erinnerung an das ungewisse Leben jenes Wilhelm Abs auf oder unter der Erde eines sowjetischen Lagers, die ertrug sie nur allein in ihrem Zimmer, blicklos betend, ohne daß Tränen ihr halfen. Cresspahl bekam am Montag zwei Postpäckchen mit Geldscheinen, Ausgleich für Rechnungen aus den Jahren 1943 und 1944, er durfte aber die dreißig Mark nicht nachreichen, die ihm seine Kopfquote voll gemacht hätten; Berthold Knewer, nun doch noch einmal hinter dem Paketschalter der Post, vergingen die Tage mit dieser Aktion etwas rascher, so daß er gelegentlich wegdenken konnte von seinen Sorgen und an Cresspahl ein wenig Herrschaft ausübte, in schnippischem Ton, nicht mehr ein schwärzlich, ein grau gestäubter Vogel. Dann kam Jakob und bereitete ihm Sorgen; Jakob schrie ja nicht, er brauchte den Bürgermeister bloß anzusehen, grübligen, verwunderten Blicks, sogleich bekam er Cresspahls Scheine mit den Coupons in die Hand, ohne Quittung. Emil Knoop, dringlicherer Sorgen unbewußt, machte abermals den Schnitt, den er sich zumaß, obwohl es vieler privater Besuche im Sowjetviertel von Gneez bedurfte; überwältigend rechnete er sich aus, daß die Soldaten und Sergeanten um diese Zeit ihren monatlichen Lohn fast ausgegeben haben mußten, wie die Offiziere und Angestellten der Militärverwaltung ihr vierzehntägiges Gehalt, da wollte er sich an ihrer uneingeschränkten Umtauschquote wohltätig beteiligen, sei es für fünf, für vier, für dreieinhalb Prozent. Das Vorsprechen bei den Gebrüdern Kommandanten in Jerichow bedauerte er als einen Fehltritt, denn als die Herren ihn auf die Straße setzen ließen, mußte er eine Anzeige gewärtigen, künftigen Verlust, wenn auch bloß an Zeit. Verschwitzt, mittlerweile doch etwas dicklich stand er in der Sonne vor Cresspahls Haus, unterließ abermals einen Besuch bei seinem »väterlichen Vorbild«. Was hatte er für Bedenken? Nie aber und nirgends in Jerichow oder Gneez waren jene westlichen Friedensfeinde mit ihren Koffern voll Altgeld anzutreffen, deren bösen Machenschaften das ganze Kopfüber und Koppheister recht eigentlich seine Rechtfertigung verdankte. Cresspahls Tochter war es erspart. In diesem Trubel war ihr Mitmachen erspart. Sie hatten nichts. Sie hatten nichts! Das kann sich im Kopf anfühlen wie ein rascher, fröhlicher Wind.
    Inzwischen saß nicht nur den Damen Weidling und Beese ihr Kopf dick voll mit den westlichen Sektoren von Berlin, die die S. M. A. D. gerade abschnitt von der Eisenbahn wie von den Wasserstraßen, deren Leuten sie weder Kartoffeln noch Milch noch Strom noch Medizinen liefern wollte; es war viel Rede vom Dritten Weltkrieg, ein wenig auch von der Aussicht, die Sowjets wollten endlich den Briten, zumindest, Westberlin zurücktauschen

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