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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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oder bloß denkt. Die Lautstärke dieser zweiten, eingebildeten Strähne verdrängt manchmal das tatsächlich im Moment Gehörte an den Rand der Aufmerksamkeit, allerdings nie vollständig. Abermals bin ich mißtrauisch gegen die Funktion des Wortes ›Einbildung‹ hier, denn zwar verlasse ich mich durchaus nicht auf die Authentizität des bloß mental Gehörten, es stellt sich aber oft genug als richtig heraus als etwas, das ich gewußt habe. Es ist möglich, daß ich dem sprechenden Gegenüber die andere akustische Strähne bloß unterschiebe, um der eigenen Meinung einen Vorteil zu verschaffen, um mich selbst zu bekräftigen; dies ist weniger wahrscheinlich insofern, als ich von Mal zu Mal schlimmste Sachen ›höre‹ von Personen, an deren Zuneigung mir doch dringlich gelegen ist. Ich gebe allgemein zu, daß solche Zuneigung immer auch ihre Verneinung enthalten kann; nur vermag ich es nicht, diese Möglichkeit auf Freunde oder auch nur Bekannte anzuwenden.
    Beschwerden: Keine. Das zweite akustische Band bringt das erste nicht zum Stillstand, insbesondere nicht in Unterhaltungen mit Personen, denen eine Blöße zu zeigen Folgen haben muß für den beruflichen Leumund. Wenn ich versuche, meiner Tochter zu erzählen von den Großvätern in Mecklenburg oder Pommern, kommen mir gelegentlich vom Zwischenreden der Toten Pausen bei, aber nicht länger, als ein Dorn in ein Kleid einen Triangel reißt. (Oder aber das Kind, fürsorglich für seine noch nicht elf Jahre, verbirgt mittlerweile seinen Schrecken und verbietet sich gestische Reaktion.) Solche automatischen Gesprächsvermittlungen stellen einen geringfügig benommenen Zustand her, aus dem ich willentlich herausfinden kann, erheblich schneller durch einen Anruf des Kindes (nicht durch Autohupen vor dem Fenster oder dergleichen), dann aber wie im Sprung, unverzüglich.
    Ist dies eine Krankheit? Sollte ich meine beruflichen Verpflichtungen darauf umstellen? Müßte das Kind vor mir geschützt werden?«
    »Sie sprechen mit mir.« Du hast gepetzt.
    Ihr. Wo siet ji afblewn?
    Hast gewartet?
    Ihr Toten seid doch sonst …
    Mit dem Maul voraus.
    Zur Stelle.
    Wir hatten zu tun.
    Sagt ihr es mir.
    Wir haben nichts.
    Kein Mal habt ihr gesagt: Wi sünt all dår. Nun will keiner mit mir sprechen.
    Was haben wir mit der Zukunft zu tun.
    Was ist … es soll nicht für mich sein, Marie hat es gefragt: Was ist … beständig?
    Wir.
    13. Juli, 1968 Saturday Tag der South Ferry
    Liebe Anita Rodet Stütz –
    Gruß zuvor. Da du es wünschest, schreibe ich dir wiederholentlich von unserem Umgang mit dem Menschen, den wir anreden als D. E., der vorgestern dir seine Aufwartung gemacht hat als ein Herr Erichson, mit Bartastern in der Hand, ganz wie wir ihm auftrugen.
    Wenn es ein Zusammenleben ist, so eines mit Abständen, er jenseits des Hudson auf dem flacheren Lande, wir am Riverside Drive in New York City; eines mit Entfernungen, jeweils zu Besuch, auf anderthalb Tage. Zu Gaste kommen aber macht die Abschiede reichlich, die Begrüßungen unterhaltlich. Dabei ist er vorsichtig, vermeidet die Überraschung; noch mit uns verabredet ruft er an vom Flughafen: ob er uns denn recht komme nach all der Zeit von zehn Tagen. Da melden wir Vorfreude; auch auf Neuigkeiten. Denn wenn dieser eine Reise tut, so hat er was gefunden.
    Du denkst: Geschenke. Die auch; nahezu jedes hat uns gefallen, was D. E. mitbringt von seinen Ausflügen. So Marie die geschickte Drehkugel, deren Skalen die Temperatur in Fahrenheit wie Celsius anzeigen, den Luftdruck in Millibar wie in Millimetern, obendrein die relative Luftfeuchtigkeit; seit Juni verzeichnet sie ihre Messungen und benötigt für ihr Wetter keine New York Times. Nur im ersten Jahr mit ihm haben wir ihn verdächtigt mit dem Ansinnen, sich beliebt zu machen mit Geldes Wert; inzwischen kennen und mögen wir, eine wie die andere, den beiläufigen, den besorgten Blick, mit dem er sich vergewissert, ob er denn genau genug an uns gedacht hat in der Abwesenheit. (Da doch die eine von uns die Luft bewertet nach der amerikanischen Manier, die andere hängen bleibt in der europäischen Gewohnheit.) Mitbringsel.
    Begieriger sind wir auf andere. So auf den Moment des Vergnügens, wenn das auf zivil getrimmte Auto der hiesigen Luftwaffe ihn absetzt vor unserem kurzen gelben Stummel von Haus, auf fünf Minuten genau wie angesagt. (Er verficht da so ein Axiom, wonach ein Mensch Pünktlichkeit verfertigen könne. Er macht uns zweierlei Spaß: weil es ihm

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