Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
einmal hatte er mit dem Beil eine Stubentür bauen können. Jetzt war er hier. Sie brauchte nicht alles auf einmal.
Sie saßen morgens auf der Milchbank hinter dem Haus. Nicht nur war es ein schulfreier Tag, sie konnte auch sitzen neben Cresspahl, solange sie Lust hatte. Mochte ihm dabei entgehen, daß die Stangen der Bank angefault waren und bessere Befestigung brauchten. Vor ihnen im wilden Gras, schattig, taunaß, stand die älteste Katze auf steifen Beinen und betrachtete ein Amselküken, aus dem Nest gefallen, nicht flügge. Die Katze setzte zwei Beine vor die hinteren zwei, sie machte sich nicht einmal die Mühe zu schleichen. Die schreiende Amselmutter hatte es so eilig, sie fiel aus dem Baum wie ein Stein, im federnden Aufprall schon riß sie den Kopf hoch gegen die Feindin, bot sich an als Opfer, zum Selbstmord bereit. Die Katze wandte ihr einen Seitenblick zu, grau und gleichmütig, schritt auf das Küken zu, unbeirrt von dem Jammergeschrei der Amsel. Sie würde eins nach dem anderen erledigen. Gesine war im Zweifel, ob sie auch zu früheren Zeiten aufgestanden wäre und die verblüffte Katze weggenommen hätte von ihrer Nahrung; jetzt kam sie zurück mit dem Raubtier unterm Arm und nahm in Kauf, daß das Biest sie für verblödet erachtete. Sie setzte sich zurück neben Cresspahl, immer die Katze im Griff, die allmählich Streicheln begriff, ihren Verdacht aber bewahrte. Was waren das für neue Sitten. Dann sah Gesine, daß Cresspahl den Stein weglegte, der der Katze zugedacht gewesen war.
Das sind von den Künsten die brotlosen, die bringen weder Umsatz noch Verdienst. In der letzten Juniwoche sah Cresspahls Tochter, was für Umstände Leute haben konnten mit zurückgelegtem Geld. Gehorsam, eifrig sagte sie in der Schule Herrn Dr. Kramritz über die westdeutsche Währungsreform auf, was der nicht glaubte und was ihr nur mit Sorge vom Mund ging: den überlebenden Trägern der faschistischen Kriegswirtschaft gehe es darum, die verfaulende und krisenhafte kapitalistische Wirtschaft zu retten, wobei die Führung der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie aktive Hilfsdienste leisten; wie grundsätzlich anders die Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone. Aber von dem wüsten Getobe, das die Leute in Jerichow und Gneez vom 24. Juni an aufführten, war sie ausgenommen, Cresspahl auch, Frau Abs auch, Jakob auch. Sie behielten auf ihren vier Sparbüchern nach der Abwertung zusammen zweihundertvierundzwanzig Mark; nur bei Jakob und seiner Mutter reichte es für die Kopfquote von siebzig Mark, die im Postamt gegen Scheine mit aufgeklebten Coupons eingetauscht wurden. Viele aber besaßen Summen darüber hinaus, die bis zum 28. noch ein Zehntel wert waren und ab fünftausend Mark sogar gefährlich, weil verdächtig als Gewinn aus Rüstungslieferung oder Schwarzmarktgeschäften. Fräulein Pohl wurde beobachtet bei Sturmmärschen die gneezer Stalinstraße rauf wie runter, entlang an weggeräumten Auslagen; am Sonnabend hatte sie ein echt antiquarisches Porzellanmöbel, aus dem in heilem Zustand Punsch zu reichen gewesen wäre, und eine nicht reparierbare Heizsonne (wegen der Stromsperre ließen die Handelsbürger gelegentlich elektrische Geräte ab). Viel bedauert wurde Leslie Danzmann, die in diesen Tagen an Frau Landgerichtspräsidentin Lindsetter jene zweihundert Mark zurückzahlen wollte, die sie sich eine Woche zuvor für den Aufkauf von einem Pfund Butter geliehen hatte; die würdige Patriarchin wies die Summe von sich, wollte auch auf zweitausend Mark Papier nicht hinuntergehen. Auf ihre Menschlichkeit angesprochen, revanchierte sich Frau Lindsetter mit dem rätselhaften Entschluß: Ja, denn hilft mich das allens nüch, denn müssen wir woll vor Gericht, mein Liebing! Gabriel Manfras bekam für Weihnachten eine garantiert und seit Jahrzehnten unverkäufliche Geige aus dem Musikhaus Johannes Schmidt Erben, das ahnte er nur noch nicht. Mine Köpcke, seit der häßlichen Auseinandersetzung mit ihrem Mann über Gaswerksdirektoren namens Duvenspeck dem innerlichen Wesen und der Religionsausübung bedenklich zugeneigt, weitete ihr Gefühl aus auf die Künste und erwarb für gut dreitausend Mark zwei echt gemalte Bilder (Öl), eine Birkenlandschaft im Vorfrühling mit in der Diagonale abknickendem Überschwemmungsbach sowie einen Hirsch mit verlegener Kopfhaltung. Pfennige, Fünfer, Groschen waren schlechterdings unerhältlich, denn die Scheidemünzen behielten fürs erste ihren Nennwert; von der
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