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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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laßt, liebe Freunde, bloß zwei Monate.
    Im Namen unseres gemeinsamen Kampfes gegen den Imperialismus, des Friedens, der Sicherheit der Völker, der Demokratie des Sozialismus.
    Warum sagt ihr nichts! Immer noch behandelt ihr mich wie ein Kind, dem man nicht den Spaß verderben darf!
    Vielleicht wird es ja einer.
    Nicht wahr!
    Gesine, du vergißt etwas: in der Zukunft können wir nichts.
    Und doch habt ihr mir Ratschläge gegeben zu euren Lebzeiten, und für die Zukunft!
    Da konnten wir dich zurückholen, zur Not.
    Hin ist der Spaß.
    Gesine, du willst ja auch nicht, daß wir sind zu dir wie zu einem Kind.
    Heute ist alles runtergekommen, vier Stunden ist es her, und immer noch erzählen wir einander, wo es uns erwischt hat. D. E. will nach dem Mittagessen mit dem Gartenschlauch in der Hand vor dem Rasen seiner Mutter gestanden haben, die Nase witternd erhoben, worauf er das Gerät versorgte, denn über ihm zog kühle, trockene Luft nach New York; nicht wenig bildet er sich ein auf seine Nase, und in dieser selbstzufriedenen Haltung, mit dem übermütig geschwenkten Rotweinglas, werden wir ihn erinnern. Die Angestellte Cresspahl hat den Anfang beobachtet, in Vernachlässigung ihrer dienstlichen Pflichten: das Licht zwischen den gläsernen Häuten der Bürokästen war düster geworden und übermäßig klar. Alle Kanten waren geschärft bis zur Deutlichkeit. Dann, ein Viertel nach vier, war der erste Donnerschlag zu hören. Marie ist sicher, den Blitz dazu gesehen zu haben, in der breit abfallenden Schneise der 96. Straße, die im düsteren Fenster des Flusses endete. Als die ersten dicken Tropfen vor ihren Füßen zerplatzten, war sie am Guten Eß Geschäft, und Charlie winkte sie herein, die Stammkundin, aber an die Broadwayseite seines Schaufensters stand ein Herr gedrückt, dem fehlte das Kleingeld für eine Tasse Kaffee, der ergab sich mit hängenden Schultern dem strähnig überschütteten Bürgersteig. Da lief der Regen auch am Palast der Bank in dichtem Fluß herunter, und auf der dreizehnten Etage war zu hören, wie nun die Wagenreifen rauschten auf dem nassen Straßendamm. Da hielt D. E. an einer Ampel in New Jersey neben einem Fußgänger, der schritt dahin wie auf Parade, ein Stück Pappe über dem halb kahlen Kopf; den Anzug durfte der Regen ihm getrost schwarz machen. Da sah Marie einen Neger über den Broadway tanzen, einen großen Karton auf den Schultern, den stemmte er alle fünf Schritt mit Schwung nach oben, und hat Niemanden angestoßen. Dann begannen auf der Dritten Avenue die Feuerwehrwagen zu heulen. D. E. klatschten nun Sturzbäche auf die Wagenscheiben, aber wenn er seine Ankunft für sechs versprochen hat, so ist er vorhanden um achtzehn Uhr, und bedankt soll er sein. Auf der Lexington Avenue hingegen taten die Pendler, als sei das Weitergehen wichtiger als das Trockenbleiben; Regen erzeugt offenbar weniger Solidarität als Schneefall oder Hitze; hier bei uns zulande. Es war nun zwanzig Minuten seit Beginn des Runterkommens, und ein Herrenausstatter hatte das Schild fertig fürs Schaufenster: Regenschirme, billig. Aber Mrs. Cresspahl schritt würdig fürbaß unter der zum Dach gefalteten New York Times. Der Bettler von dieser Seite des Bahnhofs Grand Central, der im Dienst die Leute erschreckt mit seinen unbedeckten doppelten Beinprothesen, hatte sich frei gegeben und lehnte nun an einer Wand im Inneren des Gray Bar-Hauses, die Hosenbeine nach unten gekrempelt. Als Marie ins Freie trat, hat sie ein neues Atmen gelernt, das kann ihr D. E. nun erklären mit dem Abrutschen der Luftfeuchtigkeit um mindestens zehn Punkte. In der Ubahn war es noch stickig, jeweils nur die Hälfte der Ventilatoren lief, mürrisch standen die Leute aneinander gedrängt, obwohl sie doch auch diese Woche New Yorks wieder einmal überstanden hatten. Um dreiviertel sieben war der Regen so schwach, nur tröpfeln konnte er noch, aber immerhin hatte er den Nebelklumpen vor New Jersey weggewischt, so daß wir die Uferfront einmal erkennen können in ihrer Düsternis. Dann trampelte der Donner hin und her über dem Hudson und konnte sein Wasser nicht lassen. Jetzt ist es still, der asphaltene Spiegel des Riverside Drive zeigt uns die Baumspitzen in der Freundschaft, die sie mit dem Himmel unterhalten. Aus dem Park kommt ein quietschender Vogelschrei, wie der eines verletzten Jungtiers. Eine Möwe? Ja, Marie hat die Möwe gesehen über den Wipfeln unserer Bäume, da sägt sie den Wind an, und der Wind steht aufs

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