Jahrmarkt der Eitelkeit
Entsetzen. Hier prüfte er die Rechnungen der Haushälterin und das Kellerbuch des Butlers. Von hier konnte er jenseits des sauberen kiesbestreuten Hofes die Hintertür des Stalles sehen, mit dem eine Klingel ihn verband; und in diesen Hof trat der Kutscher aus seinen Hintergebäuden wie in eine Anklagebank, wenn Osborne ihn vom Fenster des Studierzimmers aus schalt. Viermal im Jahre betrat Miss Wirt dieses Zimmer, um ihr Gehalt zu holen, und seine Töchter kamen, um ihr vierteljährliches Taschengeld in Empfang zu nehmen. Als Knabe war George in diesem Zimmer sehr oft durchgepeitscht worden, und seine Mutter saß dann kraftlos auf der Treppe und lauschte den Peitschenhieben. Man hatte den Jungen bei dieser Strafe kaum weinen sehen – die arme Frau pflegte ihn insgeheim zu herzen und zu küssen und ihm, wenn er herauskam, Geld zu geben, um ihn zu beschwichtigen.
Über dem Kaminsims hing ein Familiengemälde, das nach Mrs. Osbornes Tod aus dem Vorderzimmer hierhin gebracht worden war: George saß auf einem Pony, die ältere Schwester reichte ihm einen Blumenstrauß hinauf, die jüngere war an der Hand der Mutter. Alle hatten rote Wangen und einen roten Mund und lächelten einander in bewährter Familienbilderweise an. Die Mutter lag jetzt unter der Erde und war von allen schon längst vergessen, die Schwestern und der Bruder hatten hundert verschiedene eigene Interessen und waren sich völlig fremd, obwohl sie nach außen hin auf einem vertrauten Fuße standen. Welch bittere Ironie liegt nicht ein paar Dutzend Jahre später, wenn alle dargestellten Personen alt geworden sind, in diesen kindischen Familienprunkgemälden mit ihren erheuchelten Gefühlen und ihren lächelnden Lügen und ihrer selbstbewußten und selbstzufriedenen Unschuld. Osbornes eigenes Staatsporträt im Lehnsessel mit dem großen silbernen Schreibzeug hatte im Speisezimmer den Ehrenplatz eingenommen, den das Familienstück frei gemacht hatte.
In dieses Studierzimmer zog sich nun der alte Osborne zur Erleichterung der kleinen Gesellschaft, die er verließ, zurück. Als die Dienstboten sich entfernt hatten, sprachen sie eine Weile lebhaft, aber sehr leise; dann gingen sie still die Treppe hinauf, und Mr. Bullock begleitete sie behutsam auf knarrenden Sohlen. Er hatte nicht den Mut, allein und dem fürchterlichen alten Herrn im anstoßenden Studierzimmer so nahe, seinen Wein zu trinken.
Mindestens eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit wagte schließlich der Butler, ohne Aufforderung an die Tür zu klopfen und ihm Kerzen und Tee zu bringen. Der Herr des Hauses saß im Sessel und gab vor, die Zeitung zu lesen. Als der Diener die Lichter und Erfrischung auf den Tisch neben ihm gestellt und sich zurückgezogen hatte, erhob sich Mr. Osborne und verschloß hinter ihm die Tür. Diesmal konnte man sich nicht täuschen; das ganze Haus wußte, daß eine große Katastrophe im Anzug sei, die wahrscheinlich für Master George schreckliche Folgen haben würde.
In dem großen glänzenden Mahagonischreibtisch hatte Mr. Osborne eine Schublade ausschließlich für die Sachen und Papiere seines Sohnes. Hier bewahrte er seit dessen Geburt alle seine Dokumente auf. Hier waren seine Hefte und Zeichenblocks, für die er einen Preis bekommen hatte, alle trugen Georges und des Lehrers Schriftzüge. Da waren seine ersten Briefe, in großer Kinderschrift geschrieben, worin er Papa und Mama herzlich grüßte und sie um einen Kuchen bat. Sein lieber Pate Sedley war mehr als einmal darin genannt. Flüche bebten auf den bleichen Lippen des alten Osborne, und ein schrecklicher Haß und gräßliche Enttäuschung wüteten in seinem Herzen, als er beim Durchsehen der Papiere auf diesen Namen stieß. Sie waren alle bezeichnet, mit kurzer Zusammenfassung versehen und mit einer roten Schnur zusammengebunden. Da war einer: »Von Georgy mit der Bitte um fünf Shilling, 23. April 18..; beantwortet am 25. April« oder »Georgy wegen eines Ponys, 13. Oktober« und so fort. In einem anderen Päckchen waren »Dr. S.'s Rechnungen«, »G. s' Schneiderrechnungen und Ausstattung, Anweisung auf mich von G. Osborne junior« und so weiter, seine Briefe aus Westindien – die Briefe seines Beauftragten sowie Zeitungen, die seine Beförderung brachten. Hier befanden sich auch eine Reitpeitsche, die ihm als Knabe gehörte, und, in Papier eingewickelt, ein Medaillon mit einer Haarlocke, das seine Mutter gewöhnlich getragen hatte.
Der unglückliche Mann verbrachte viele Stunden damit, eines dieser
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