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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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würde, und ihrer Witwenpension, falls er fiel, absolut unabhängig von der Welt sein würde und dem Witwenstand mit Ruhe entgegensehen könne.
    Ein paarmal im Laufe des Tages hatte sie allerdings auch an Flucht gedacht. Ihr Verstand gab ihr aber besseren Rat. Angenommen, die Franzosen kommen, dachte sie, was können sie dann schon einer armen Offizierswitwe tun! Pah, die Zeiten der Belagerungen und Plünderungen sind vorüber, man wird uns ruhig nach Hause gehen lassen, oder ich kann auch mit meinem hübschen kleinen Einkommen angenehm im Ausland leben.
    Inzwischen waren Joseph und Isidor zum Stall gegangen, um die neugekauften Pferde zu besichtigen. Joseph befahl seinem Diener, sofort zu satteln, denn er wollte noch in derselben Nacht, noch zur selben Stunde fortreiten. Er ließ daher den Diener zurück, damit der die Pferde fertigmache, während er selbst nach Hause ging, um sich für die Abreise vorzubereiten. Sie mußte geheim bleiben. Er wollte durch die Hintertür auf sein Zimmer gehen. Es lag ihm nichts daran, der Majorin und Amelia zu begegnen und gestehen zu müssen, daß er davonlaufen wollte.
    Josephs Handel mit Rebekka war nun abgeschlossen, er hatte die Pferde besichtigt, und der neue Tag war angebrochen; obwohl jedoch Mitternacht schon lange vorüber war, hatte die Stadt noch keine Ruhe gefunden. Die Leute waren wach, in den Häusern brannten Lichter, vor den Türen standen noch immer Menschengruppen, und auf den Straßen herrschte ein reges Leben. Noch immer wanderten die verschiedensten Gerüchte von Mund zu Mund; das eine behauptete, die Preußen hätten eine vollständige Niederlage erlitten; ein anderes, es seien die Engländer gewesen, die angegriffen und besiegt wurden; ein drittes, daß die Engländer das Feld behauptet hätten. Dieses letzte Gerücht gewann allmählich die Oberhand; noch kein Franzose hatte sich blicken lassen. Einzelne Zurückkehrende brachten immer günstigere Nachrichten; endlich kam sogar ein Adjutant nach Brüssel mit Depeschen für den Kommandanten der Stadt, und dieser ließ bald darauf ein Plakat mit der offiziellen Mitteilung vom Triumph der Alliierten bei Quatre-Bras und dem Rückzug der Franzosen unter Ney nach sechsstündiger Schlacht in der Stadt anschlagen. Der Adjutant mußte in der Zeit, als Joseph und Rebekka ihren Handel abgeschlossen oder beim Besichtigen der Pferde waren, angekommen sein. Als Joseph sein Hotel erreichte, fand er mehr als ein Dutzend der zahlreichen Bewohner vor der Tür im Gespräch über die Neuigkeit, an deren Wahrheit nicht zu rütteln war. Er ging also hinauf, um sie den unter seiner Obhut befindlichen Damen mitzuteilen. Er hielt es nicht für nötig, ihnen zu erklären, daß er beabsichtigt hatte, sie zu verlassen, daß er bereits Pferde gekauft hatte und welchen Preis er dafür hatte zahlen müssen.
    Sieg oder Niederlage war jedoch für diejenigen, die nur um die Sicherheit ihrer geliebten Männer bangten, von geringerer Bedeutung. Amelia wurde bei der Siegesnachricht sogar noch aufgeregter als vorher. Sie wollte unverzüglich zur Armee gehen und flehte ihren Bruder unter Tränen an, sie dorthin zu begleiten. Zweifel und Schrecken erreichten bei ihr den Höhepunkt, und das arme Mädchen, das viele Stunden lang in dumpfem Brüten verbracht hatte, lief in wahnsinniger Hysterie hin und her – ein erbarmungswürdiger Anblick! Kein Mann, der sich fünfzehn Meilen entfernt auf dem schwerumkämpften Schlachtfeld vor Schmerzen krümmte – und es lagen viele Tapfere dort –, litt mehr als dieses arme, unschuldige Opfer des Krieges. Joseph konnte den Anblick ihrer Qual nicht ertragen. Er ließ seine Schwester unter der Obhut ihrer härteren Gefährtin zurück und stieg von neuem zur Hoteltür hinunter, wo noch alles schwatzend herumlungerte und auf weitere Nachrichten wartete.
    Während sie dort standen, wurde es völlig hell, und Männer, die auf dem Kriegsschauplatz mitgewirkt hatten, brachten neue Nachrichten. Leiterwagen und lange Bauernkarren, mit Verwundeten beladen, rollten in die Stadt; schauriges Ächzen erscholl daraus, und abgekämpfte Gesichter schauten traurig aus dem Stroh. Joseph Sedley blickte mit schmerzlicher Neugier auf einen dieser Wagen – das Stöhnen der darin Liegenden war entsetzlich. Die müden Pferde konnten ihn kaum noch ziehen. »Halt, halt!« rief eine schwache Stimme aus dem Stroh, und das Fuhrwerk hielt gegenüber von Mr. Sedleys Hotel an.
    »Es ist George, ich weiß es ganz genau«, schrie Amelia und

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