Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
Vom Netzwerk:
biwakierte und mit aller Kraft seines Herzens an die kleine Frau dachte, die er in Brüssel zurückgelassen hatte.
    Der nächste Tag war ein Sonntag, und Mrs. O'Dowd sah mit Befriedigung, daß die Nachtruhe ihre beiden Patienten körperlich und geistig gestärkt hatte. Sie selbst hatte in einem Lehnstuhl in Amelias Zimmer geschlafen, bereit, ihrer armen Freundin oder dem Fähnrich zu Diensten zu stehen, wenn einer von ihnen ihre Fürsorge brauchte. Bei Anbruch des Tages ging die tapfere Frau in das Haus, wo sie und der Major einquartiert waren, und machte dort sorgfältig Toilette, wie es sich für den Tag gehörte. Und während sie allein in dem Zimmer war, das ihr Mann bewohnt hatte, wo seine Nachtmütze noch auf dem Kissen lag und sein Stock in der Ecke stand, wurde höchstwahrscheinlich ein Gebet für das Wohlergehen des tapferen Soldaten Michael O'Dowd gen Himmel geschickt.
    Als sie zurückkehrte, brachte sie ihr Gebetbuch und die berühmten Predigten ihres Onkels, des Dekans, mit, aus denen sie regelmäßig am Sonntag zu lesen pflegte; wenn sie auch nicht alles verstand, und vielleicht manche der langen und komplizierten Wörter nicht richtig aussprach – denn der Dekan war ein gelehrter Mann und liebte lange lateinische Wörter –, so las sie doch mit großem Ernst, viel Gefühl und im allgemeinen leidlich richtig. Wie oft hat Mick diesen Predigten gelauscht, dachte sie, wenn ich sie bei Windstille in der Kajüte las. Auch heute beabsichtigte sie diese geistliche Übung vorzunehmen, und Amelia und der verwundete Fähnrich sollten die Gemeinde sein. Der gleiche Gottesdienst wurde an jenem Tag zur gleichen Stunde in zwanzigtausend Kirchen abgehalten, und Millionen britischer Männer und Frauen flehten auf den Knien den Vater aller Dinge um Schutz an.
    Sie alle hörten den Lärm nicht, der unsere kleine Gemeinde in Brüssel störte. Als Mrs. O'Dowd mit ihrer schönsten Stimme die Predigt las, begannen die Kanonen von Waterloo aufs neue zu dröhnen – lauter als zwei Tage zuvor.
    Als Joseph dieses entsetzliche Geräusch vernahm, faßte er den Entschluß, diese unaufhörliche Wiederkehr des Schreckens nicht länger zu ertragen und sofort zu fliehen. Er stürzte in das Krankenzimmer, wo unsere drei Freunde im Gebet innegehalten hatten, und störte sie auf, indem er sich heftig an Amelia wandte:
    »Ich kann es nicht länger aushalten, Emmy«, sagte er, »ich will es nicht mehr aushalten, und du mußt mit mir mitkommen. Ich habe ein Pferd für dich gekauft – zu welchem Preis ist ganz gleichgültig –, und du mußt dich anziehen und mit mir mitkommen und dich hinter Isidor setzen.«
    »Gott verzeih mir, Mr. Sedley, aber Sie sind nichts anderes als ein Feigling«, sagte Mrs. O'Dowd und legte das Buch hin.
    »Ich sage dir, komm, Amelia«, fuhr der Zivilist fort, »kümmere dich nicht darum, was sie sagt; warum sollen wir hierbleiben und uns von den Franzosen abschlachten lassen?«
    »Sie vergessen das ...te Regiment, mein Junge«, rief der kleine Stubble, der verwundete Held, von seinem Bett, »und – und Sie werden mich doch nicht verlassen, nicht wahr, Mrs. O'Dowd?«
    »Nein, mein liebes Kerlchen«, sagte sie, ging zu dem Jungen und gab ihm einen Kuß. »Niemand soll Ihnen etwas tun, solange ich bei Ihnen bin. Ich weiche nicht, bis Mick mir den Befehl dazu erteilt. Würde ich nicht eine hübsche Figur abgeben auf einem Reitkissen hinter dem Kerl da?«
    Über dieses Bild brach der junge Patient in seinem Bett in Gelächter aus, und selbst Amelia mußte lächeln. »Ich frage ja nicht sie, ob sie mitkommt«, schrie Joseph. »Ich frage ja nicht die – die Irin da, sondern dich, Amelia; ein für allemal, kommst du mit?«
    »Ohne meinen Mann, Joseph?« fragte Amelia mit verwundertem Blick und ergriff die Hand der Majorin. Josephs Geduld war jetzt erschöpft.
    »Also dann, auf Wiedersehen«, sagte er, schüttelte wütend die Faust und warf die Tür beim Hinausgehen hinter sich zu. Dieses Mal gab er wirklich den Marschbefehl und bestieg auf dem Hof das Pferd. Mrs. O'Dowd hörte das Klappern der Hufe, als die Pferde aus dem Tor sprengten; sie machte allerlei höhnische Bemerkungen über den armen Joseph, als sie ihn die Straße hinabreiten sah, gefolgt von Isidor mit der goldbebänderten Mütze. Die Pferde, die ein paar Tage lang keine Bewegung gehabt hatten, waren lebhaft und machten frohe Sprünge auf der Straße. Joseph war ein ungeschickter, ängstlicher Reiter und wirkte im Sattel sehr unvorteilhaft. »Sehen Sie

Weitere Kostenlose Bücher