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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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appellieren doch an die guten, schlichten Gefühle, und die Menschen verstanden sie besser als die Donizettische 11 Milch- und Wassermusik mit ihren ewigen lagrime, sospiri, felicità, 12 die man uns heutzutage auftischt.
    Empfindsame Gespräche, die zum Thema paßten, wurden zwischen den Liedern geführt, und Sambo, der den Tee gebracht hatte, sowie die entzückte Köchin und sogar Mrs. Blenkinsop, die Haushälterin, erniedrigten sich, auf dem Treppenabsatz zu lauschen.
    Eins dieser Lieder, das letzte des Konzerts, lautete:

    Ach! Öde war's an jenem Heideorte,
    wo pfiff der Wind so kalt und schneidend drein;
    der Hütte Dach ward hier zum sichern Horte,
    und hell glänzt' auf dem Herd des Feuers Schein.
    Da ging vorüber an der kleinen Pforte
    ein Waisenknabe, traurig und allein,
    und wie er sah das Feuer lustig glühen,
    Fühlt' doppelt er im Schnee des Weges Mühen.

    Und als er wieder griff zum Wanderstabe,
    mit schwachem Herzen und mit müdem Fuß,
    da lud man ihn, reicht' freundlich ihm die Gabe,
    und sanfte Stimmen boten ihm den Gruß.
    Der Tag bricht an – schon weiter ist der Knabe,
    noch winkt der Herd zum gastlichen Genuß.
    Die Pilger schirme all der Himmel droben!
    Horcht, wie die Stürme auf der Heide toben!

    Es war eine Variation des vorhin Ausgesprochenen: Wenn ich fort bin. Als Miss Sharp die letzten Worte sang, zitterte ihre dunkle Stimme. Alle fühlten die Anspielung auf ihre Abreise und ihr glückloses Waisendasein. Joseph Sedley, der Musik liebte und ein weiches Herz hatte, war während des Liedes ganz verzückt und tief gerührt über den Schluß.
    Hätte er den Mut dazu gehabt, wären George und Miss Sedley, wie der junge Mann es vorgeschlagen hatte, vorn geblieben, so hätte Joseph Sedleys Junggesellenstand hier sein Ende gefunden, und dieses Werk wäre nie geschrieben worden. Aber Rebekka ergriff nach dem Lied Amelias Hand und ging mit ihr vom Klavier weg in den dämmerigen vorderen Salon. In diesem Augenblick erschien Mr. Sambo mit einem Teebrett voller Sandwiches, Gelees und ein paar funkelnden Gläsern und Karaffen, die alsbald Joseph Sedleys ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Als die Oberhäupter des Hauses Sedley von ihrem Diner zurückkehrten, fanden sie die jungen Leute so ins Gespräch vertieft, daß die den Wagen nicht hatten vorfahren hören. Mr. Joseph sagte gerade: »Meine liebe Miss Sharp, ein kleines Teelöffelchen voll Gelee, um Sie nach Ihrer ungeheuren – Ihrer – Ihrer wunderbaren Anstrengung zu erfrischen.«
    »Bravo, Joe!« ließ sich Mr. Sedley vernehmen, und kaum hatte Joe diese wohlbekannten, spöttischen Laute gehört, als er auch schon wieder in sein ängstliches Schweigen verfiel und sich davonmachte. Er lag nicht die ganze Nacht wach, um darüber nachzudenken, ob er in Miss Sharp verliebt sei, denn Liebesleidenschaft störte weder seinen Appetit noch Schlaf; aber doch dachte er im stillen, wie herrlich es doch sein müsse, solche Lieder nach dem Dienst zu hören, wie vornehm sich das Mädchen zu geben wisse, wie sie besser Französisch spreche als selbst die Gemahlin des Generalgouverneurs und welches Aufsehen sie auf den Bällen in Kalkutta erregen würde. Offenbar ist das arme Geschöpf in mich verliebt, überlegte er. Sie ist nicht ärmer als die meisten Mädchen, die nach Indien kommen. Bei Gott, ich könnte es bei anderen weit schlechter treffen!
    Unter diesen Gedanken schlief er ein.
    Daß Miss Sharp wach lag und Betrachtungen darüber anstellte, ob er am folgenden Tage kommen würde oder nicht, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Der Morgen kam und mit ihm, unvermeidlich wie das Schicksal, Mr. Joseph Sedley, noch vor dem zweiten Frühstück. Noch niemals hatte man erlebt, daß er Russell Square eine solche Ehre erwies. George Osborne war aus irgendwelchen Gründen bereits dort und brachte Amelia, die an ihre zwölf Busenfreundinnen in der Chiswick Mall schrieb, völlig aus dem Konzept; und Rebekka war mit ihrer Arbeit vom Vortag beschäftigt. Als Joes Buggy vorfuhr und als der Steuereinnehmer von Boggley Wollah nach seinem üblichen Donnern gegen die Tür und seiner lärmenden Geschäftigkeit in der Vorhalle sich die Treppe hinaufarbeitete und dem Salon zusteuerte, tauschten Osborne und Miss Sedley verständnisinnige Blicke, und das Pärchen blickte schelmisch lächelnd Rebekka an, die tatsächlich errötete, als sie ihre blonden Ringellocken über ihre Filetarbeit neigte. Wie ihr Herz schlug, als Joseph erschien – Joseph, vom Treppensteigen

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