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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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wütend auf die Frau wie auf den Mann. »Sie unschuldig! Verdammt noch mal!« schrie er; »Sie unschuldig! Jedes Schmuckstück, das Sie am Leibe tragen, habe ich bezahlt. Ich habe Ihnen Tausende von Pfund gegeben, und dieser Kerl hat sie ausgegeben und Sie dafür verkauft. Unschuldig! Zum Teufel! Sie sind ebenso unschuldig wie Ihre Mutter, das Ballettmädchen, und ihr Mann, der Zuhälter. Glaubt nicht, daß ihr mich einschüchtern könnt, wie es euch bei anderen geglückt ist. Machen Sie Platz, mein Herr, und lassen Sie mich vorbei.« Lord Steyne ergriff seinen Hut und trat mit flammenden Augen, den wilden Blick auf seinen Feind gerichtet, auf den anderen zu. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser ausweichen würde.
    Aber Rawdon Crawley sprang auf ihn los und packte ihn am Halstuch, bis sich Steyne fast erstickt unter seinem Arm krümmte und wand. »Du lügst, du Hund!« rief Rawdon. »Du lügst, du Feigling, du Schurke.« Und er schlug dem Peer zweimal mit der offenen Hand ins Gesicht und warf ihn blutend zu Boden. Das alles war geschehen, noch ehe Rebekka sich ins Mittel legen konnte. Zitternd stand sie vor Rawdon und bewunderte ihren starken, mutigen und siegreichen Gatten.
    »Komm her«, sagte er. Sofort trat sie zu ihm.
    »Leg das Zeug da ab.« Sie begann zitternd die Juwelen von den Armen zu streifen und die Ringe abzusetzen und hielt ihm den ganzen Haufen bebend hin. »Wirf sie weg!« sagte er, und sie ließ alles fallen.
    Er riß ihr den Diamantschmuck von der Brust und warf ihn Lord Steyne ins Gesicht. Er zerschnitt ihm die kahle Stirn. Steyne behielt die Narbe, bis er starb.
    »Komm mit hinauf!« sagte Rawdon zu seiner Frau.
    »Töte mich nicht, Rawdon«, sagte sie.
    Er lachte wild.
    »Ich will nur sehen, ob der Mann in bezug auf das Geld ebenso gelogen hat wie über mich. Hat er dir welches gegeben?«
    »Nein«, sagte Rebekka, »das heißt ...«
    »Gib mir deine Schlüssel«, antwortete Rawdon, und sie gingen zusammen hinaus.
    Rebekka gab ihm alle Schlüssel außer einem, und sie hoffte, daß er nicht bemerken würde, daß dieser fehlte. Er gehörte zu dem kleinen Schreibpult, das ihr Amelia früher einmal geschenkt hatte und das sie an einem geheimen Platz versteckt hielt. Rawdon riß alle Kästen und Schränke auf und verstreute den Tand, der sich darin befand, im ganzen Zimmer. Schließlich fand er das kleine Pult. Er zwang die Frau, es zu öffnen. Es enthielt Papiere, viele Jahre alte Liebesbriefe, allerlei Kleinigkeiten und weiblichen Flitterkram. Außerdem enthielt es eine Brieftasche mit Banknoten. Einige waren von vor zehn Jahren datiert, eine aber war ganz neu – eine Tausendpfundnote, die Lord Steyne ihr gegeben hatte.
    »Hast du die von ihm?« fragte Rawdon.
    »Ja«, antwortete Rebekka.
    »Ich werde sie ihm heute zurückschicken«, fuhr er fort (denn der Tag dämmerte bereits herauf, und viele Stunden waren über dem Suchen vergangen). »Ich will der Briggs, die freundlich gegen den Jungen gewesen ist, ihrs zurückgeben und einige von den Schulden bezahlen. Du wirst mich wissen lassen, wohin ich dir das übrige senden kann. Von alldem da hättest du wohl hundert Pfund für mich erübrigen können, Becky – ich habe stets mit dir geteilt.«
    »Ich bin unschuldig!« sagte Becky. Er verließ sie, ohne ein weiteres Wort.

    Was dachte Rebekka, als er sie verlassen hatte? Stundenlang blieb sie nach seinem Weggang allein. Die Sonne schien hell ins Zimmer, und sie saß immer noch auf der Bettkante. Alle Schubfächer waren herausgezogen, und ihr Inhalt lag verstreut umher – Kleider und Federn, Schärpen und Schmucksachen, ein Haufen zerschellter Eitelkeit. Das Haar fiel ihr über die Schultern herab; wo Rawdon ihr die Brillanten abgerissen hatte, war ihr Kleid zerfetzt. Einige Minuten nachdem er sie verlassen hatte, hörte sie ihn die Treppe hinabgehen und die Tür hinter sich zuschlagen. Sie wußte, daß er nie zurückkehren würde. Er war für immer fort. Wird er sich umbringen? fragte sie sich. Wahrscheinlich nicht, ehe er nicht noch einmal mit Lord Steyne zusammengetroffen war. Sie dachte an ihr langes, vergangenes Leben und all die traurigen Begebenheiten darin. Ach, wie trostlos erschien es ihr, wie elend, einsam und nutzlos! Sollte sie Opium nehmen und Schluß machen mit allen Hoffnungen, Plänen, Schulden und Triumphen? So fand sie die französische Zofe: mit gefalteten Händen und trockenen Augen saß sie inmitten ihrer elenden Trümmer. Das Mädchen war ihre Komplizin und stand

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