Jahrmarkt der Eitelkeit
läuteten, als er sein Ziel erreichte. Wenn er hinausgeblickt hätte, hätte er seine alte Bekannte, Amelia, auf ihrem Weg von Brompton zum Russell Square sehen können. Trupps von Schulkindern marschierten zur Kirche. Das glänzende Pflaster und die Kutschendächer in den Vorstädten waren voll von Leuten, die sich ein Sonntagsvergnügen machen wollten. Der Oberst hatte es aber viel zu eilig, um von alldem Notiz zu nehmen, und als er in der Kaserne ankam, begab er sich schleunigst in das Zimmer seines alten Freundes und Kameraden Macmurdo, den er glücklicherweise in der Kaserne antraf.
Hauptmann Macmurdo, ein alter Offizier und Waterlookämpfer, der beim Regiment sehr beliebt war (nur der Mangel an Geld hinderte ihn, zu hohen Würden aufzusteigen), genoß den ruhigen Vormittag im Bett. Er hatte den Abend bei einer lustigen Gesellschaft verbracht, die der ehrenwerte Hauptmann George Cinqbars in seinem Haus am Brompton Square mehreren jungen Offizieren des Regiments und einer Anzahl Damen von einer Balletttruppe gegeben hatte. Der alte Mac, der mit Leuten jeden Alters und Standes vertraut war und mit Generalen, Hundezüchtern, Ballettänzerinnen, Boxern, kurz, allen Arten von Menschen verkehrte, ruhte sich, da er dienstfrei hatte, von den Anstrengungen der Nacht im Bett aus.
An den Wänden seines Zimmers hingen Box-, Jagd- und Tanzbilder, die ihm seine Kameraden geschenkt hatten, wenn sie aus dem Regiment ausschieden, sich verheirateten oder sich in ein ruhiges Leben zurückzogen. Da er nun beinahe fünfzig war und vierundzwanzig Jahre seines Lebens beim Korps zugebracht hatte, so besaß er ein einzigartiges Museum. Er war einer der besten Schützen Englands und für einen Mann von seiner Körperfülle ein guter Reiter. Tatsächlich waren er und Crawley Rivalen, als dieser noch bei der Armee war. Kurz und gut, Mr. Macmurdo – ein ehrwürdiger, borstiger Krieger mit einem kleinen Kopf und kurzgeschnittenem grauem Haar, einer seidenen Nachtmütze, rotem Gesicht und ebensolcher Nase und einem mächtigen, gefärbten Schnurrbart, lag im Bett und las in »Bell's Life« den Bericht über den schon erwähnten Kampf zwischen dem »Liebling von Tutbury« und dem »Kläffenden Schlächter«.
Als Rawdon dem Hauptmann sagte, er brauche einen Freund, da wußte dieser sofort, welcher Freundschaftsdienst von ihm erwartet wurde, denn er hatte schon Dutzende solcher Affären mit größter Klugheit und Geschicklichkeit für seine Freunde erledigt. Seine Königliche Hoheit, der verstorbene, allgemein betrauerte Oberbefehlshaber der Armee, hatte in dieser Hinsicht die größte Achtung für Macmurdo gehegt, und Herren, die sich in Schwierigkeiten befanden, suchten bei ihm Rat und Hilfe.
»Worum dreht sich denn der Streit eigentlich, Crawley, mein Junge?« fragte der alte Krieger. »Etwa Spielgeschichten, wie damals, als wir Hauptmann Marker erschossen?«
»Es geht um – um meine Frau«, entgegnete Crawley, schlug die Augen nieder und wurde rot.
Der andere gab einen Pfiff von sich. »Ich habe ja schon immer gesagt, sie wird dir noch einmal davonlaufen«, begann er. Tatsächlich hatten die Welt und Rawdons Kameraden Mrs. Crawleys Charakter so geringgeschätzt, daß man im Regiment und in den Klubs bereits Wetten über Oberst Crawleys mutmaßliches Schicksal abschloß. Als Macmurdo jedoch den wütenden Blick bemerkte, mit dem Rawdon diese Meinungsäußerung beantwortete, hielt der Alte es für besser, sich nicht weiter darüber auszulassen.
»Gibt es keinen anderen Ausweg, alter Junge?« fuhr der Hauptmann in ernstem Ton fort. »Ist es nur ein Verdacht? Oder – oder was ist es? Hast du Briefe? Kannst du es nicht in aller Stille abmachen? Man schlägt doch wegen so einer Angelegenheit keinen Lärm, wenn es sich vermeiden läßt.« Merkwürdig, daß er erst jetzt dahintergekommen ist, dachte der Hauptmann bei sich, und ihm fielen hundert ausführliche Unterhaltungen in der Offiziersmesse ein, bei denen Mrs. Crawleys Ruf in Fetzen gerissen worden war.
»Es gibt nur einen Ausweg«, entgegnete Rawdon, »und einer von uns muß auf der Strecke bleiben, Mac – verstehst du das? Mich hat man aus dem Weg geräumt, festgenommen, ich überraschte die beiden, als sie allein zusammen waren. Ich sagte ihm, er sei ein Lügner und Feigling, und dann schlug ich ihn zu Boden und verprügelte ihn.«
»Geschah ihm recht«, erwiderte Macmurdo. »Wer ist es denn?«
Rawdon antwortete, daß es Lord Steyne sei.
»Zum Henker! Ein Marquis! Man erzählte
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