Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
Vom Netzwerk:
in Steynes Sold.
    »Mon Dieu, Madame, was ist geschehen?« fragte sie.
    Was war eigentlich geschehen? War sie schuldig oder nicht? Sie sagte nein. Aber wer war imstande, zu beurteilen, ob diese Lippen die Wahrheit sprachen und das verdorbene Herz in diesem Falle rein war? All ihre Lügen und Pläne, all ihre Selbstsucht und Ränke, all ihr Witz und Talent waren an einer Stelle gescheitert.
    Das Mädchen zog die Vorhänge zu, und mit einigem Bitten und wenigstens dem Anschein von Freundlichkeit überredete sie ihre Herrin, sich ins Bett zu legen. Dann ging sie hinunter und sammelte die Schmucksachen auf, die noch immer auf dem Boden umherlagen, seit Rebekka sie auf Befehl ihres Mannes hatte fallen lassen. Lord Steyne hatte sich entfernt.
Fußnoten

    1 (lat.) eine angenehme Gattin.

    2 verballhorntes Französisch, eigentlich: table d'hôte = gemeinsame Tafel im Gasthaus oder Hotel.

    3 (franz.) Mein armer Kleiner.

    4 (franz.) eine recht unheilverkündende Miene.

    5 (franz.) nach Wacholderschnaps roch.

    6 (franz.) in gestrecktem Galopp.

    7 Spottbezeichnung für die Pfandleihe.

54. Kapitel
Der Sonntag nach der Schlacht
    Das Haus Sir Pitt Crawleys in der Great Gaunt Street hatte gerade begonnen, sich für den Tag zu rüsten, als Rawdon in seinem Abendanzug, den er jetzt schon zwei Tage lang trug, an der erschrockenen Frau, die die Treppe scheuerte, vorübereilte und seines Bruders Studierzimmer betrat.
    Lady Jane war noch im Morgenrock oben in der Kinderstube und überwachte die Toilette ihrer Kinder und lauschte den Morgengebeten, die die kleinen Geschöpfe an ihrem Knie aufsagten. Jeden Morgen tat sie das mit ihnen allein noch vor der allgemeinen Andacht, die Sir Pitt leitete und zu der sich alle Bewohner des Hauses versammeln mußten. Rawdon setzte sich im Studierzimmer an den Tisch des Baronets, der mit schön geordneten Parlamentsberichten und Briefen, sauber beschrifteten Rechnungen, symmetrisch gestapelten Broschüren, verschlossenen Rechnungsbüchern und Depeschenkästen bedeckt war. Die Bibel, die »Quarterly Review« 1 und der Adelskalender standen alle wie zur Parade, als ob sie die Besichtigung durch ihren Herrn erwarteten.
    Ein Buch mit Familienpredigten, von denen Sir Pitt am Sonntagmorgen jeweils eine seiner Familie vorzulesen pflegte, lag auf dem Schreibtisch bereit und erwartete seine fachkundige Wahl. Neben dem Predigtbuch lag der »Observer« 2 , noch feucht und sauber gefaltet, zu Sir Pitts Privatgebrauch. Sein Kammerdiener ergriff als einziger die Gelegenheit, die Zeitung durchzusehen, bevor er sie seinem Herrn auf den Tisch legte. Ehe er sie an diesem Morgen in das Studierzimmer gebracht hatte, hatte er darin einen glühenden Bericht unter dem Titel »Festlichkeiten im Gaunt-Haus« gelesen mit den Namen aller von Marquis Steyne geladenen hervorragenden Persönlichkeiten, die Seine Königliche Hoheit getroffen hatten. Nachdem er im Zimmer der Haushälterin mit ihr und ihrer Nichte seinen Frühstückstee und Röstbrot mit Butter eingenommen und dabei die Kommentare zu dem Fest vorgelesen hatte (er gab auch seiner Verwunderung Ausdruck, wovon die Crawleys denn bloß leben mochten), befeuchtete und faltete er die Zeitung von neuem, so daß sie dem Herrn des Hauses ganz frisch und unschuldig erscheinen mußte.
    Der arme Rawdon nahm das Blatt und versuchte zu lesen, bis sein Bruder kommen würde. Aber die Buchstaben ergaben ihm keinen Sinn, und er hatte keine Ahnung von dem, was er las. Die Regierungsnachrichten und Ernennungen (die mußte Sir Pitt als Mann des öffentlichen Lebens lesen, denn sonst hätte er keine Sonntagszeitung in seinem Hause geduldet), die Theaterkritiken, der Boxkampf um hundert Pfund zwischen dem »Kläffenden Schlächter« und dem »Liebling von Tutbury«, sogar die Berichte vom Gaunt-Haus, die eine sehr schmeichelhafte, wenn auch vorsichtige Beschreibung der berühmten Scharaden und ihrer Heldin Mrs. Becky brachten – all das zog wie im Nebel an ihm vorüber, als er saß und das Familienoberhaupt erwartete.
    Pünktlich mit dem schrillen Klang der schwarzen Marmoruhr auf dem Kaminsims, die gerade neun schlug, erschien Sir Pitt, frisch, sauber, glattrasiert, mit wächsernem Gesicht und steifem Hemdkragen, das spärliche Haar sorgfältig gekämmt und pomadisiert. Er kam majestätisch mit gestärkter Krawatte und im grauen Flanellschlafrock die Treppe herab und schnitt sich die Nägel – ein echter englischer Gentleman, das Musterbeispiel von Sauberkeit und Korrektheit. Als er

Weitere Kostenlose Bücher