Jahrmarkt der Eitelkeit
verhindern, daß der Lakai die Bezeichnung »betrunken« mit Gewalttätigkeiten von sich abwies.
»O Madame«, sagte Raggles, »ich hätte nie geglaubt, daß ich diesen Tag erleben würde. Ich kenne die Familie Crawley, seit ich auf der Welt bin. Dreißig Jahre lang war ich Butler bei Miss Crawley und hätte nie gedacht, daß mich einer aus dieser Familie einmal ruinieren würde – ja, ruinieren«, sagte der arme Mann mit Tränen in den Augen. »Werden Sie Ihre Schulden bei mir bezahlen? Sie haben vier Jahre lang in diesem Haus gewohnt; meine ganze Habe, mein Silber und meine Wäsche haben Sie benutzt. Für Milch und Butter sind Sie mir zweihundert Pfund schuldig; Sie mußten ja unbedingt frische Eier für Ihre Omeletts und Sahne für Ihren Schoßhund haben.«
»Was ihr eigenes Fleisch und Blut bekam – darum hat sie sich nicht gekümmert«, fiel die Köchin ein. »Oft wäre er beinahe verhungert, wenn ich nicht gewesen wäre.«
»Er ist jetzt in einer Waisenschule, Köchin«, sagte Mr. Trotter mit einem trunkenen Lachen. Der ehrliche Raggles fuhr mit kläglichem Ton fort, seine Kümmernisse aufzuzählen. Alles, was er sagte, entsprach den Tatsachen. Becky und ihr Mann hatten ihn ruiniert. Er sollte nächste Woche Rechnungen bezahlen und wußte nicht womit. Er würde völlig gepfändet und aus Laden und Haus gejagt werden, weil er der Familie Crawley vertraut hatte. Seine Tränen und Klagen verdrossen Becky nur noch mehr.
»Ihr scheint alle gegen mich zu sein«, sagte sie bitter. »Was wollt ihr. An einem Sonntag kann ich euch sowieso nicht bezahlen. Kommt morgen, und ihr werdet euer Geld bekommen. Ich dachte, Oberst Crawley hätte mit euch abgerechnet. Morgen wird er es tun. Ich erkläre euch bei meiner Ehre, daß er heute morgen mit fünfzehnhundert Pfund in der Brieftasche aus dem Haus gegangen ist. Er hat mir nichts zurückgelassen. Wendet euch an ihn. Reicht mir Hut und Schal und laßt mich hinaus. Ich will zu ihm. Wir hatten heute früh einen kleinen Streit. Anscheinend wißt ihr es schon. Ich verspreche euch auf mein Wort, daß ihr alle euer Geld bekommen sollt. Er hat eine gute Stellung erhalten. Laßt mich gehen, damit ich ihn aufsuchen kann.«
Bei diesen kühnen Worten blickten Raggles und die übrigen Anwesenden sich in wildem Erstaunen an, und so verließ sie Rebekka; sie ging hinauf und kleidete sich an, diesmal ohne die Hilfe ihrer französischen Zofe. Sie ging in Rawdons Zimmer und sah, daß sein Koffer und seine Tasche fertig gepackt zum Abholen bereitstanden. Auf der Adresse war mit Bleistift vermerkt, daß sie auf Anforderung ausgeliefert werden sollten. Dann begab sie sich in die Dachkammer der Französin, dort aber war alles leergefegt und die Schubladen ausgeräumt. Sie dachte an die Schmucksachen, die auf dem Fußboden herumgelegen hatten, und sie war sicher, daß das Frauenzimmer geflohen war.
Gütiger Himmel, hat man je so ein Unglück erlebt wie meins? sagte sie sich. So nahe am Ziel zu sein und alles zu verlieren? Ist es nun zu spät? Nein! Es gab noch eine Möglichkeit.
Sie kleidete sich an und ging aus, diesmal unbelästigt, aber allein. Es war vier Uhr. Sie eilte durch die Straßen (Geld für einen Wagen hatte sie ja nicht) und blieb erst stehen, als sie die Tür von Sir Pitt Crawley in der Great Gaunt Street erreicht hatte. Wo war Lady Jane Crawley? Sie war in der Kirche. Becky war darüber nicht traurig. Sir Pitt saß in seinem Studierzimmer und hatte Befehl gegeben, ihn nicht zu stören. Sie mußte ihn aber sprechen. Sie schlüpfte an dem Wachtposten in Livree vorbei und war schon in Sir Pitts Zimmer, noch ehe der erstaunte Baronet auch nur die Zeitung niedergelegt hatte.
Er wurde rot und fuhr mit erschrockenem und entsetztem Blick vor ihr zurück.
»Sehen Sie mich nicht so an«, sagte sie, »ich bin unschuldig, Pitt, lieber Pitt. Sie sind einst mein Freund gewesen. Bei Gott, ich bin unschuldig. Der Schein und alle Umstände sprechen gegen mich! Ach, gerade in dem Augenblick, als alle meine Hoffnungen sich erfüllen sollten, als uns das Glück winkte.«
»So ist es wahr, was in der Zeitung steht?« fragte Sir Pitt. Ein Absatz darin hatte ihn sehr überrascht.
»Es ist wahr. Lord Steyne hat es mir am Freitagabend, dem Abend des verhängnisvollen Balles, erzählt. Seit einem halben Jahr hat man ihm eine Anstellung versprochen. Mr. Martyr, der Kolonialminister, erzählte ihm nun gestern, die Sache gehe jetzt in Ordnung. Es folgten dann die unglückselige Verhaftung und die
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