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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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und murmelte: »Ach, wirklich, nun ja, Gott behüte mich. Ich habe immer Glück. Ich werde Ihnen sicher auch Glück bringen« – und andere schmeichelhafte und verwirrte Aussprüche.
    »Spielen Sie oft?« fragte die fremde Maske.
    »Mal ein paar Napoleons«, erwiderte Joseph mit überlegener Miene und warf ein Goldstück hin.
    »Sie spielen nicht, um zu gewinnen«, meinte die Maske mit ihrem hübschen französischen Akzent. »Ich auch nicht. Ich spiele, um zu vergessen, aber ich kann es nicht. Ich kann die alten Zeiten nicht vergessen, Monsieur. Ihr kleiner Neffe ist das Ebenbild seines Vaters, und Sie – Sie haben sich nicht verändert – ja, doch, auch Sie sind anders geworden. Alle verändern sich, alle vergessen, keiner hat ein Herz.«
    »Guter Gott, wer sind Sie nur?« fragte Joseph verwirrt.
    »Können Sie es nicht erraten, Joseph Sedley?« sprach die kleine Frau mit trauriger Stimme, nahm ihre Maske ab und blickte ihn an. »Sie haben mich vergessen.«
    »Gütiger Himmel! Mrs. Crawley!« stieß Joseph hervor.
    »Rebekka!« sagte die andere und legte ihre Hand auf seine; aber obwohl sie ihn ansah, verfolgte sie doch aufmerksam das Spiel.
    »Ich wohne im ›Elefanten‹«, fuhr sie fort. »Fragen Sie nach Madame von Raudon. Ich habe heute meine liebe Amelia gesehen. Wie hübsch sie aussieht und wie glücklich, und Sie auch! Alle, nur ich nicht, ich bin elend und unglücklich, Joseph Sedley!« Und während sie sich mit einem zerrissenen Spitzentüchelchen über die Augen fuhr, schob sie wie zufällig mit einer Armbewegung ihr Geld von Rot auf Schwarz. Rot kam von neuem heraus, und sie verlor ihren ganzen Einsatz.
    »Kommen Sie«, sagte sie, »kommen Sie ein wenig mit mir hinaus; wir sind doch alte Freunde, nicht wahr, lieber Mr. Sedley?«
    Herr Kirsch, der inzwischen seine ganze Barschaft verloren hatte, folgte seinem Herrn hinaus in den Mondschein; die Illumination verlöschte langsam, und das Transparent über der englischen Gesandtschaft war kaum noch zu erkennen.

64. Kapitel

Ein Vagabundenkapitel
    Wir müssen über einen Teil von Mrs. Rebekka Crawleys Biographie mit der Leichtigkeit und dem Takt hinweggehen, die die Welt fordert – die moralische Welt, die zwar keinen besonderen Abscheu gegen das Laster hat, jedoch eine unüberwindliche Abneigung dagegen, das Laster beim rechten Namen genannt zu hören. Es gibt Dinge, die wir auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit tun und kennen, aber nie aussprechen. Wie die Teufelsanbeter den Teufel niemals erwähnen, so kann das gebildete Publikum es ebensowenig ertragen, eine wahrhafte Beschreibung des Lasters zu lesen, wie eine wirklich vornehme Engländerin oder Amerikanerin nicht gestatten wird, daß in Gegenwart ihrer keuschen Ohren das Wort »Hosen« ausgesprochen wird. Und doch, Madame, läuft beides täglich vor unseren Augen in der Welt herum, ohne uns sehr zu entsetzen. Was für einen Teint würden Sie bekommen, wenn Sie jedesmal erröten sollten, wenn eins davon an Ihnen vorübergeht! Nur wenn ihr leichtfertiger Name genannt wird, findet Ihre Sittsamkeit Gelegenheit, Bestürzung oder Empörung zu zeigen. Es ist daher auch in unserer Geschichte der Wunsch des Verfassers gewesen, sich dieser gegenwärtig herrschenden Mode ehrfurchtsvoll zu unterwerfen und die Existenz des Schlechten nur leicht und leise und gefällig anzudeuten, um niemandes Feingefühl zu verletzen. Ich behaupte, daß niemand sagen kann, unsere sicher nicht lasterfreie Becky sei dem Publikum auf unanständige und beleidigende Weise vorgestellt worden. Der Verfasser fragt mit bescheidenem Stolz alle seine Leser, ob er bei der Beschreibung dieser verführerischen, singenden und lächelnden Schmeichlerin auch nur einmal die Gesetze der Sittlichkeit vergessen und den gräßlichen Schweif des Ungeheuers über Wasser gezeigt hat? Nein! Diejenigen, die Lust haben, mögen in die recht durchsichtigen Wellen hinabblicken und können dann sehen, wie er in seiner teuflischen Häßlichkeit und Schlüpfrigkeit sich dreht und windet, gegen Gebeine anschlägt oder sich um Leichen schlingt; aber ich frage nochmals, ob über der Wasseroberfläche nicht alles anständig, angenehm und geziemend zugegangen ist oder ob der bedenklichste Moralist auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit das Recht hat, pfui zu schreien? Wenn allerdings die Sirene 1 verschwindet und hinabtaucht, hinab zu den Toten, dann wird natürlich das Wasser über ihr trübe, und es ist verlorene Mühe, neugierig hinabzuschauen. Hübsch genug sehen sie ja aus,

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