Jahrmarkt der Eitelkeit
entsetzlich beschimpft hatte, kam zu Joseph zum Essen und dann täglich, um Becky seine Aufwartung zu machen. Die arme Emmy, die nie sehr redselig gewesen war, aber nun nach Dobbins Abreise ernster und schweigsamer war als je, geriet ganz in Vergessenheit, als dieser überragende Geist auftauchte. Der französische Gesandte war ebenso entzückt von ihr wie sein englischer Rivale. Die deutschen Damen, die in bezug auf Moral nie sehr bedenklich sind, vor allem nicht bei Engländern, waren von der Klugheit und dem Witz der bezaubernden Freundin von Mrs. Osborne entzückt, und obwohl sie nicht bei Hofe vorgestellt zu werden verlangte, so hörten doch sogar die erlauchten Persönlichkeiten dort von ihren Reizen und waren wirklich neugierig, sie kennenzulernen. Bald sprach es sich herum, sie sei von Adel, stamme aus einer alten englischen Familie, ihr Mann sei Oberst bei der Garde und Gouverneur einer Insel und lebe von seiner Frau getrennt wegen geringer Differenzen, die in einem Lande, wo man noch den »Werther« liest und wo man Goethes »Wahlverwandtschaften« für ein erbauliches und moralisches Buch hält, keine Rolle spielen. Es weigerte sich nun kein Mensch mehr, sie selbst in den höchsten Kreisen des kleinen Herzogtums zu empfangen, und die Damen waren sogar noch schneller bereit, sie zu duzen und ihr ewige Freundschaft zu schwören, als sie es früher bei Amelia gewesen waren, der sie die gleichen unschätzbaren Wohltaten erwiesen hatten. Die einfachen Deutschen legen Liebe und Freiheit in einer Weise aus, die die braven Leute in Yorkshire oder Somersetshire kaum verstehen würden, und in einigen philosophischen und zivilisierten Städten könnte eine Dame wer weiß wie oft von ihrem jeweiligen Mann geschieden sein und doch ihre Stellung in der Gesellschaft behaupten.
Seit Joseph ein eigenes Haus hatte, war es nie so unterhaltsam gewesen, wie es jetzt durch Rebekka wurde; sie sang, sie spielte, sie lachte, sie unterhielt sich in mehreren Sprachen, sie schleppte allerlei Leute ins Haus und brachte Joseph zu dem Glauben, daß seine gesellschaftlichen Talente und sein Witz die große Gesellschaft des Ortes um ihn versammelte.
Emmy war überhaupt nicht mehr die Herrin ihres eigenen Hauses, außer wenn es Rechnungen zu bezahlen galt, aber Becky entdeckte bald, wie man sie besänftigen und sich ihr angenehm machen konnte. Sie plauderte ihr beständig etwas von Major Dobbin vor, den sie fortgeschickt hatte, und war skrupellos genug, ihre Bewunderung für diesen vortrefflichen hochherzigen Mann auszudrücken und Amelia zu zeigen, wie grausam sie ihn behandelt habe. Emmy verteidigte ihr Verhalten und erklärte, daß nur rein religiöse Grundsätze es ihr diktiert hatten, daß eine Frau nur einmal und so weiter und so fort, und wenn sie dann noch mit solch einem verheiratet gewesen sei, wie der, den das Glück ihr gegeben habe, dann sei sie verheiratet für ewig. Sie hatte aber nichts dagegen, daß Becky den Major pries, soviel sie Lust hatte, und brachte selbst das Gespräch täglich wohl zwanzigmal auf Dobbin.
Es gelang Becky leicht, die Gunst Georges und der Dienstboten zu gewinnen. Amelias Zofe war, wie schon erwähnt, dem großmütigen Major von ganzem Herzen zugetan; obgleich sie anfänglich Becky, als der Ursache seiner Trennung von ihrer Herrin, abgeneigt gewesen war, söhnte sie sich doch später wieder mit Mrs. Crawley aus, weil diese Dame Williams eifrigste Bewunderin und Verteidigerin wurde. In den wichtigen geheimen Beratungen, die die beiden Damen nach den Gesellschaftsabenden hielten, während Miss Payne ihnen die Haare bürstete, die gelben Locken der einen und die weichen braunen Flechten der anderen, legte das Mädchen stets ein Wort für den guten lieben Herrn, Major Dobbin, ein. Ihre Fürsprache machte Amelia ebensowenig zornig wie Rebekkas Bewunderung für ihn. Sie veranlaßte George, regelmäßig an ihn zu schreiben, und ließ in einer Nachschrift stets die freundlichen Grüße der Mama mitschicken. Und wenn sie abends das Bild ihres Mannes betrachtete, dann machte es ihr keine Vorwürfe mehr – vielleicht machte sie ihm nur Vorwürfe, da William fort war.
Emmy war nach ihrem heroischen Opfer nicht sonderlich glücklich. Sie war sehr zerstreut, nervös, still und unduldsam. Die Familie hatte sie nie so launisch gesehen, sie wurde blaß und kränklich. Sie sang ab und zu ganz bestimmte Lieder, zum Beispiel »Einsam bin ich, nicht allein«, jenes sanfte Liebeslied von Weber, das in der alten Zeit,
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