Jahrmarkt der Eitelkeit
ein Glas Wein gäben?« sagte die Junge zu Mr. Bowls, dem dicken, vertrauenswürdigen Mann. Er tat es. Die Briggs griff mechanisch danach, stürzte es krampfhaft hinunter, stöhnte ein wenig und fing an, mit dem Hühnchen auf ihrem Teller zu spielen.
»Ich glaube, wir können uns selbst bedienen«, sagte die Junge mit größter Höflichkeit; »wir können daher auf die freundliche Hilfe von Mr. Bowls verzichten. Mr. Bowls, wir werden klingeln, wenn wir Sie benötigen.«
Der Butler ging hinunter ins Bedientenzimmer, wo er, beiläufig gesagt, den unschuldigen Lakaien, seinen Untergebenen, mit den fürchterlichsten Flüchen überhäufte.
»Wie können Sie sich die Sache so zu Herzen nehmen, Miss Briggs«, meinte die junge Dame mit kühler, etwas sarkastischer Miene.
»Meine liebe, liebe Freundin ist so krank und wi...i...i...i...i...ill mich nicht sehen«, gurgelte die Briggs in einem neuen Schmerzensausbruch hervor.
»Sie ist nicht mehr sehr krank. Trösten Sie sich, teure Miss Briggs. Sie hat nur zuviel gegessen – das ist alles. Es geht ihr schon bedeutend besser. Bald wird sie wiederhergestellt sein. Sie ist noch schwach vom Schröpfen und von der ärztlichen Behandlung, wird sich aber bald erholen. Beruhigen Sie sich doch bitte und trinken Sie noch ein bißchen Wein.«
»Aber warum, warum will sie mich nicht sehen?« plärrte Miss Briggs. »Oh, Matilda, Matilda, ist das nach dreiundzwanzig Jahren zärtlicher Liebe der Dank für deine arme, arme Arabella?«
»Weinen Sie doch nicht, arme Arabella«, sagte die andere mit einem kaum merklichen Lächeln, »sie will Sie nur deshalb nicht sehen, weil sie sagt, ich pflegte sie besser als Sie. Es ist für mich kein Vergnügen, die ganze Nacht aufzubleiben. Ich wünschte, Sie könnten es an meiner Stelle tun.«
»Habe ich nicht viele Jahre lang das teure Lager bewacht?« fragte Arabella. »Und jetzt ...«
»Jetzt zieht sie eben jemanden anders vor. Kranke haben nun einmal ihre Grillen, und man muß ihnen ihren Willen lassen. Wenn sie wieder gesund ist, werde ich gehen.«
»Nie, niemals«, rief Arabella und roch wie wahnsinnig an ihrem Riechfläschchen.
»Nie wieder gesund sein oder nie gehen, Miss Briggs?« fragte die andere mit derselben herausfordernden Gutmütigkeit. »Pah – in vierzehn Tagen ist sie wieder auf den Beinen, und dann gehe ich zu meinen kleinen Schülerinnen nach Queen's Crawley und zu deren Mutter zurück, die weit kränker ist als unsere Freundin. Sie brauchen nicht eifersüchtig auf mich zu sein, meine liebe Miss Briggs. Ich bin ein armes kleines Mädchen ohne Freunde und tue keinem was zuleide. Ich will Sie gar nicht aus Miss Crawleys Gunst verdrängen. Wenn ich eine Woche fort bin, wird sie mich vergessen haben. Ihre Freundschaft dagegen ist das Werk von vielen Jahren. Bitte, geben Sie mir ein bißchen Wein, meine liebe Miss Briggs, wir wollen Freundinnen sein. Ich brauche Freunde so sehr.«
Die versöhnliche und weichherzige Miss Briggs reichte ihr auf diese Bitte hin wortlos die Hand, aber trotzdem traf sie die Abtrünnigkeit tief, und sie beklagte heftig die Unbeständigkeit ihrer Matilda. Als nach einer halben Stunde das Essen vorüber war, verfügte sich Miss Rebekka Sharp (denn so heißt sie merkwürdigerweise, die bisher sinnreich als »das junge Mädchen« beschrieben worden ist) wieder in die Zimmer ihrer Patientin und komplimentierte mit ausgesuchter Höflichkeit die arme Firkin wieder hinaus.
»Ich danke Ihnen, Mrs. Firkin, das genügt vollkommen; wie nett Sie das machen! Ich werde klingeln, wenn etwas benötigt wird. Ich danke Ihnen.«
Und die Firkin kam herab in einem Sturm der Eifersucht, der um so gefährlicher war, als sie ihn im Busen verbergen mußte.
War es wohl dieser Sturm, der die Salontür aufblies, als sie am Treppenabsatz des ersten Stockes vorüberging? Nein, sie wurde verstohlen von der Hand der Briggs geöffnet. Die Briggs hatte auf der Lauer gelegen. Nur zu gut hatte die Briggs die zähneknirschende Firkin die Treppe herabkommen und den Löffel in der Haferbreischüssel, die die vernachlässigte Frau trug, klappern hören.
»Nun, Firkin?« sagte sie, als die andere ins Zimmer trat. »Nun, Jane?«
»Schlimmer und schlimmer, Miss Briggs«, sagte die Firkin kopfschüttelnd.
»Es geht ihr also nicht besser?«
»Sie hat nur ein einziges Mal gesprochen. Ich habe sie gefragt, ob sie sich etwas wohler fühle, und sie hat mir geantwortet, ich solle meinen dummen Mund halten. Oh, Miss B., daß ich diesen Tag noch
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