Jahrmarkt der Unsterblichkeit
sie sie nicht zurück, wandte ihm vielmehr ihr vogelhaftes Gesicht zu und sah lange und forschend zu ihm auf.
Ben-Isaak warf seine blaue Jacke über eine Schulter und ging zu Clary Adams hinüber, die an ihrem Schreibtisch stand und auf ihn wartete; sie hielt die Hornbrille in der Hand und lächelte. Ben-Isaak lächelte auch.
Er sagte: «Ich habe gleich, als ich ins Zimmer trat, gesehen, wie schön Sie sind...»
Sie tauschten den anerkennenden Blick zweier Menschen aus, die überzeugt sind, daß ihr Verhältnis zueinander angenehm sein wird. Dann gingen sie gemeinsam hinaus.
Einen Augenblick später folgte Sears dem Butler und verspürte einen seltsamen Stich im Herzen: Er war von etwas ausgeschlossen worden, keiner wünschte oder brauchte ihn, wenn er auch im Haus bleiben durfte. Er war gleichzeitig überrascht und erschüttert von der Heftigkeit dieses Stichs und von dem Gefühl der Einsamkeit, das ihn plötzlich ergriff. Doch er schüttelte es rasch ab, raffte sein ganzes Selbstbewußtsein. zusammen und redete sich ein, daß es ihn wenig zu kümmern brauche, wie das Verhältnis zwischen Ben-Isaak und den beiden Frauen in Zukunft sein würde. Entscheidend war vielmehr, daß sein Plan Erfolg hatte. Und dafür hatte der Junge gesorgt.
12
Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes.
HOHESLIED I, 2
Seit Ben-Isaaks Ausweis- und Reisepapiere, die Hannah Bascombes juristisches Büro aus Washington beschafft hatte, eingetroffen waren, überlegte Joe Sears ständig, wann und wie sie aufbrechen könnten, um den Spannungen und Schwierigkeiten zu entgehen, die während der zwei Monate ihres Aufenthalts in der Villa entstanden waren und seinen ganzen kunstvollen Schwindel jeden Augenblick in die Luft zu sprengen drohten. Als er eines Abends zufällig an einer Korridorecke auf Clary Adams und Ben-Isaak stieß, war sein Entschluß gefaßt. Es Wurde endgültig Zeit, mit seiner Inszenierung auf die Reise zu gehen.
Willenlos an ihn verloren, lag Clary in den Armen des Jungen; ihr Mund hatte ihm nachgegeben, wenn sie auch zwischendurch keuchte: «Oh, nicht, Ben! Nicht, Ben-Isaak, nicht, bitte...»
Sears verspürte einen Stich der Eifersucht, der ihn fast kränk machte. Ging diese Liebesgeschichte schon die ganze Zeit unter seinen Augen vor sich? Die frigide Miss Clary Adams, die sich ihr nächtliches Vergnügen mit diesem Jungen nahm, den er aus der Gosse aufgelesen hatte. — Die Heftigkeit des Grolls, der sich seiner bemächtigte, überraschte Sears und beunruhigte ihn gleichzeitig. Zum Teufel, was konnte es ihn kümmern, ob dieser hergelaufene Pole und das enttäuschte, von ungesunden Ängsten geschüttelte Mädchen ihre Lüste aneinander stillten?
Doch dann überzeugte ihn ihre Haltung, daß er Zufallszeuge eines Anfangs, nicht eines Höhepunktes geworden war; die beiden, die bisher sehr zurückhaltend gelebt hatten, waren in dem Augenblick, als sie sich auf dem Korridor begegneten, ein Opfer ihrer Gefühle und Wünsche geworden — etwas völlig Menschliches und Verständliches.
Sears wünschte nur, er hätte sie nicht in ihrer Versunkenheit überrascht. Denn als Sears den Ausdruck auf Clarys Gesicht bemerkte, gewann er den Eindruck, daß sie zum erstenmal, seit er sie kannte, eine Frau war.
Die beiden hatten sein Kommen nicht gehört, doch nun war es für ihn zu spät, sich zurückzuziehen, ohne daß es ein Würdeloses Durcheinander gegeben hätte. Er vernahm das liebeskranke Flüstern des Jungen: «Du zwingst mich zum Abstieg vom Amanagipfel, vom Gipfel des Senir und Hermon, von den Höhlen des Löwen, von den Bergen der Panther. Du hast mich beherzt gemacht, meine Schwester...»
Den Kopf an seiner Brust, verweigerte sie ihm jetzt den Mund, und zitternd stammelte sie: «Laß mich los, Ben-Isaak. Bitte, laß mich gehen.» Doch sie wehrte sich nicht.
In dem Augenblick gewahrten sie Sears. Sie fuhren nicht auseinander, wie es die Konvention befiehlt. Statt dessen ließ Ben-Isaak das Mädchen ganz langsam los, so daß am Ende dieser Bewegung sein Arm locker auf ihrer Schulter blieb. Dann standen sie alle drei schweigend da und sahen sich an.
Sears enthielt sich der Worte, da er erkannte, wie unangemessen sie gewesen wären. Er beobachtete den Wandel auf Ben-Isaaks Gesicht — wie es sich verfinsterte, wie die Augen sich verengten und der Drang zu töten darin aufblitzte, der nach Übung und Gewohnheit bei ihm so dicht unter der Oberfläche lag. Es w ar für alle ein gefährlicher Augenblick.
Von dem schmelzenden,
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