Jahrmarkt der Unsterblichkeit
begriff, nämlich daß er ein Junge war, der die Mutter suchte.
Hannah befahl: «Kommen Sie hierher, Ben-Isaak, und setzen Sie sich neben mich!»
Die blaue Jacke unterm Arm, gehorchte er unverzüglich und ohne sich zu zieren, während er mit leichten Schritten durch das Zimmer ging und sich in den Sessel neben Hannahs Schreibtisch setzte. Er ergriff eine ihrer kalten, blaugeäderten Hände, lächelte sanft und freundlich und wiederholte, während er ihre Hand in der seinen behielt: «Schalom!» Einen Augenblick später sagte er: «Schalom, Im-ma!»
Hannah zog ihre Hand zurück und erklärte barsch: «Nichts da!» Sie sprach brummig, da sie die Fassung verloren hatte. Sie spürte die sich ausstreckenden Fühler der Zuneigung und wurde von ihnen erschreckt; sie war Zuneigung nicht gewohnt. Das machte ihre Zurückweisung nur um so schroffer.
Ben-Isaak war von ihrer Reaktion weder verletzt noch entmutigt. Zum Teil verhielt er sich wie ein Liebhaber, der zwar eine Ablehnung erfahren hatte, jedoch genau wußte, daß er sein Ziel am Ende erreichen würde, zum Teil wie ein älterer Sohn, der einen bejahrten Elternteil mit einer Art von spöttischer Verzweiflung, duldsamem Humor, Verständnis und Liebe betrachtete.
Hannah sagte: «Erzählen Sie mir etwas von sich selber. Wo sind Sie geboren?»
Ben-Isaak ließ seine Phantasie antworten. Denn nun warb er unwiderstehlich um sie, und in diesem Fall war die Erfindung um vieles schöner als die Wahrheit, besonders wenn er zu seinen Kindheitsträumen zurückkehrte, zu jenen Träumen von dem Land der Feigen- und Ölbaumhaine, der blühenden Täler, der üppigen Hügelhänge, auf denen Herden weideten, der rauschenden Bäche und funkelnden Quellen, die aus der Heiligen Schrift strömten, und der Geschichten von den Hirtenkönigen — dem Land, wo Milch und Honig flossen. Naphtali war wie eine freigelassene Hinde, und in seinem Herzen klangen die Zeilen aus dem Lied der Lieder:
«Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin; die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande; der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, die Weinstöcke haben Blüten gewonnen und geben ihren Geruch.»
So sprach er zu ihr von jenem Israel, zu dem es seine Seele hinzog, während Hannah kerzengerade aufgerichtet dasaß, als sei sie aus Stein gemeißelt, und das Mädchen an dem entfernten Tisch das Kinn auf die Hände gestützt hatte und sich vorwärts beugte, fasziniert vom Anblick und vom Klang der Stimme dieses Fremden aus einer andern Welt.
Als Ben-Isaak zu sprechen aufhörte, war Sears immer noch nicht imstande, nach Hannahs Gesichtsausdruck darauf zu schließen, was sie dachte — ob sie annahm oder ablehnte.
Schließlich sagte die Greisin: «Wie nannten Sie mich vorhin? Dieses fremdartige Wort?»
Ben-Isaaks große Augen leuchteten auf. « Im-ma ... es ist hebräisch und heißt Mutter.»
Ihr Blick war streng und ihre Stimme abstoßend barsch, als sie fragte: «Warum nannten Sie mich Mutter?»
Ben-Isaak betrachtete sie ernst und wunderte sich über sich selber. War es das, was schon immer zwischen ihnen bestanden hatte, seit er ihre Züge zum erstenmal auf dem Bild gesehen hatte? Er besaß jenen instinktiven Takt, der ihn behutsam machte. Deshalb gab er überhaupt keine Antwort und ließ sein Schweigen und den klaren, freundlichen Blick, den er auf sie richtete, noch eindringlicher sprechen und die Nachricht von seiner Werbung zu ihr tragen.
Hannah sagte: «Nun, dann nicht.» Ihr Finger, der sich unabhängig von ihrer Person zu bewegen schien, drückte auf einen der Knöpfe vor ihr. Der Butler erschien und blieb in der Tür, die er geschlossen hatte, stehen, dicht hinter Sears.
Die Greisin sagte: «Mr. Sears, ich möchte später noch einmal mit Ihnen sprechen. Ich nehme Ihren Vorschlag im Prinzip an. Sie beide werden hier in meinem Haus bleiben. Williams wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen. Außerdem muß der Junge einen andern Anzug haben; es ist notwendig, daß er angemessen gekleidet wird. Miss Adams wird sofort dafür sorgen, daß er Garderobe erhält.»
Darauf wandte sie sich an Ben-Isaak. «Gehen Sie mit Miss Adams, Ben-Isaak, sie wird veranlassen, daß beschafft wird, was Sie brauchen.»
Ben-Isaak erwiderte ebenso stürmisch und schamlos wie jeder Liebende, der weiß, daß er gewonnen hat: «Vielen Dank, Im-ma.» Als er aufstand, griff er über den Tisch und streichelte leicht ihre Hand. Diesmal zog
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