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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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zu sehen, an dem sie ihren Gewinn hergeben und die Welt verlassen mußte, so arm und nackt, wie sie gekommen war? Was ging dort oben vor sich? Hatten sie und Sears sich bereits verschworen? Das Vorzimmer, in dem er saß, war stickig und düster mit seinen schweren Vorhängen, den mit Gaze verhängten Gemälden, den Schutzbezügen über den Stühlen; es flößte einem unheimliche Gedanken ein und eine leidenschaftliche Sehnsucht nach dem Sonnenlicht und dem blauen Himmel draußen im Freien.
    Ben-Isaak stand auf und ging zur Tür. Niemand war zu sehen, und Stille, nur von dem ständigen Klingeln ferner Telefone unterbrochen, erfüllte das Haus und verlieh ihm eine unheimliche Atmosphäre. In Ben-Isaaks Tasche raschelte etwas, er faßte mit der Hand danach und zog das Zeitungsfoto von Hannah Bascombe hervor.
    Er trat ans Fenster und studierte es abermals, obwohl er jeden Zug bereits auswendig kannte. Und wie immer fiel ihm hinter der Herausforderung, dem Ärger und der Entrüstung, die sich in den grimmigen Augen und in der stolzen Haltung des Kopfes ausdrückten, jene Armseligkeit auf, die ihn bereits beim erstenmal, als er das Bild sah, betroffen gemacht hatte.
    Während Ben-Isaak auf die Frau hinabblickte, schien es ihm, als kenne er sie schon lange, so lange, daß sich die Härte in Haltung und Ausdruck durch die Vertrautheit mit ihr milderte.
    Er überlegte, ob er sich dies alles nur einbilde, doch er konnte dem sonderbaren Gefühl ebenso wenig entrinnen, wie er sich dem in den Augen enthaltenen Anruf zu entziehen vermochte. In ihnen drückte sich irgendein tiefes Elend aus, die Sehnsucht nach etwas, was sie vom Leben erwartet und nicht erhalten hatte. Ben-Isaak Levi hatte das Antlitz des Tragischen häufig genug gesehen — in Polen, wo die Frauen inmitten der rauchenden Trümmer ihrer Hütten saßen. Niemals würde er sich darin irren. Er verspürte unendliches Mitleid mit Hannah Bascombe und den starken Wunsch, sie kennenzulernen.
    Draußen auf der Samsone Street krochen Taxis und Lastwagen hügelan; er sah ein Stück blauen Himmel. Die plötzliche Rührung flößte ihm Furcht ein. Welche Rolle spielte das Mitleid im Kampf? Wem wagte er — außer sich selber — zu trauen? Wer brachte in dieser Welt, in der er wie in einer Falle gefangen saß, etwas anderes als Haß und Verachtung für einen Juden auf?
    Der Drang wegzugehen machte sich wieder heftig bemerkbar. Da hörte er ein leises Räuspern. Der Butler stand auf der Schwelle.
    «Sir, Miss Bascombe läßt bitten. Wollen Sie freundlicherweise mit mir kommen?»
    Ben-Isaak steckte die Zeitung in die Tasche. In gewisser Hinsicht war dies eine Antwort auf seine Unentschlossenheit. Und da er nun diesen Weg gewählt hatte, konnte er auf ihm ebenso tapfer und listig kämpfen wie auf jedem andern, der ebenfalls zur Wahl gestanden hatte. Er nickte und folgte dem Mann den langen, teppichbelegten Korridor entlang und die Treppe hinauf.

    Ruhig zog sich Sears ins Halbdunkel zurück, das über dem Eingang zur Bibliothek lag, damit Ben-Isaaks Eintritt durch die Tür die volle Wirkung erhielt; der Junge sah männlich aus wie Pan und besaß den gleichen dunklen Stolz wie Luzifer.
    Er hatte die Mütze vom Kopf genommen und trug die kurze blaue Jacke über dem Arm. Die leuchtend klaren Augen in dem bronzebraunen Gesicht verliehen seinen Adlerzügen Wärme und die atemberaubende Schönheit eines Erzengels.
    Sears sah, wie sich Hannahs besitzgierige Fäuste, die geschlossen vor ihr auf der Schreibtischplatte lagen, öffneten und dann langsam wieder ballten. Wie ein Regisseur, der halb verborgen und unauffällig in den Kulissen steht, sagte er: «Miss Bascombe, Miss Adams, dies ist Ben-Isaak Levi aus der Familie Jehischai und Barzillai vom Stamm der Naphtali in Galiläa, die die Söhne Jakobs, Isaaks und Abrahams waren.»
    Ben-Isaak stand unbefangen in der Mitte des Raums, Hannah Bascombes Schreibtisch gegenüber. Er hatte das Mädchen an der Seite des Zimmers gesehen; sein Blick war von der plötzlichen Bewegung gefangen worden, mit der sie die horngefaßte Brille abgenommen und vor sich auf die Schreibtischplatte gelegt hatte.
    Doch jetzt hatte er nur Augen für die kleine dynamische Frau, die ihm gegenübersaß, das Gesicht grimmig und ausdruckslos. Er spürte, wie das Mitleid wieder in ihm aufwallte, genau wie beim Anblick ihrer Fotografie, aber nun trat zu dieser Emotion eine seltsame Wärme und Sehnsucht. Er wurde sich seines Drangs bewußt, zu ihr zu gehen, neben ihr

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