Jahrmarkt der Unsterblichkeit
niederzuknien und sie mit den Armen zu umfangen. Noch wußte er nicht, weshalb sie sein Herz so stark bewegte, doch erkannte er, daß es zwei Gründe gab, weshalb er diese Frau erobern mußte: Der Paß für Palästina war ihm noch immer das Wichtigste, doch das zweite Motiv stieß bereits heftig gegen einen Riegel vor Gefühlen, der Rost angesetzt hatte, weil er so lange nicht benutzt worden war.
Mit anmutiger Höflichkeit neigte er den Kopf und sprach das einzige Wort: «Schalom!»
Er war selbst überrascht, und er wußte kaum, woher es ihm kam und weshalb er es sagte. Als Kind hatte er Hebräisch gesprochen, doch nun schon seit langen Jahren nicht mehr. War es der Aufruhr, den er hinter dem eisigen Äußeren der grauhaarigen Frau vermutete, der ihn das uralte hebräische Wort für Frieden hatte ausgraben lassen?
Seine junge, doch männlich tiefe Stimme ließ es nicht nur wie einen Gruß, sondern auch wie einen Segen und wie ein mystisches Wort aus der fernen Vergangenheit klingen; es wirkte wie Gesang. Der Raum schien sofort unter den Zauber der Zeitlosigkeit Ben-Isaaks zu fallen. Er war nur eine vorübergehende Unterbrediung in der Linie von tausend Generationen und gleichzeitig alterslos — Jüngling, Mann und Patriarch zugleich.
Und tatsächlich lautete die erste Frage, die Hannah Bascombe mit scharfer, trockener, lehrerinnenhafter Stimme stellte: «Wie alt bist du, Junge?»
Ben-Isaak erwiderte: «Ich bin älter, als ich aussehe, Madam. Viel, viel älter...»
Im Schatten an der Tür lächelte Sears vor sich hin. Er hatte nichts verpaßt. Er hatte den raschen Blick der dunklen Augen auf das hübsche Mädchen mit den verblüfften Veilchenaugen aufgefangen und auch die Bewegung bemerkt, mit der Clary die Brille beim Eintritt des jungen Seemannes abgenommen hatte. Sie war also doch menschlich! Trotz des Panzers gegen alles Unechte wohnte ihr jene Weiblichkeit inne, die instinktiv auf die besondere Schönheit und Unschuld Ben-Isaaks reagierte. Sears begriff auch die Erwiderung des Jungen. Vor diesen beiden Frauen wollte er nicht als Kind gelten. Doch seine Art zu sprechen, sein Verhalten, als er ein höheres Alter für sich in Anspruch nahm, wirkten, als ob er ein Geheimnis enthüllte und den Eindruck, den er auf die Frauen machte, bestätigen wollte.
Hannah fragte: «Was bedeutet Schalom ?»
«Frieden. Es ist der Gruß meines Volkes.»
Hannahs Augen funkelten, doch ihr Gesicht blieb leer und die strenge Linie ihres Mundes hart und abweisend.
«Woher kommen Sie, junger Mann?»
Ben-Isaak antwortete nicht sofort, da er sich darüber wunderte, wie heftig er sich zu der strengen Frau hingezogen fühlte, die da so aufrecht und bedeutend hinter dem großen Schreibtisch saß, und wie sehr es ihn drängte, sie zu erweichen und für seine Zwecke zu gewinnen und den kalten Mund in der Wärme eines Lächelns schmelzen zu sehen. Die Lüge, die er aussprach, kam ihm fast unbewußt über die Lippen und wurde von dem Instinkt diktiert, ihr das zu sagen, was sie so gern zu hören wünschte.
«Von den Flügeln Naphtali in Galiläa, von den Wassern des Merom.»
Die Namen, die er sprach, waren wie Musik. Der Raum klang von ihnen wider. Hannah nickte langsam mit dem Kopf. Clary vermochte den Blick nicht von dem Jungen abzuwenden.
Der Mann, der die Drähte zog, an denen die Puppen so gehorsam tanzten, kicherte innerlich über seine monumentale Gescheitheit. Er dachte: Der Junge ist dafür geboren. Welch ein Schwindler. Er hat die beiden Frauen schon so weit, daß sie ihm aus der Hand fressen. Er hätte sich weit weniger behaglich gefühlt, wenn er die Gedanken hinter der Stirn Ben-Isaaks hätte lesen können.
Denn in Hannahs eiserner Starre, ihrer Selbstbeherrschung, der königlichen Haltung ihres Körpers mit dem Ausdruck unbezähmbaren Willens und den harten, unnachgiebigen Augen hatte Ben-Isaak die Ähnlichkeit mit den stolzen und tüchtigen Matriarchen seines eigenen Volkes erkannt, mit jenen Frauen von Kraft, Ehrlichkeit und Zielbewußtsein, die in so großem Maße zur Stärke und zum Glück ihrer Familie beitrugen. Nur die Herzenswärme fehlte Hannah, doch die ergänzte er bereits; er wollte sie unter ihrer harten Schale finden oder war sogar bereit, sie ihr einzuhauchen, falls es nötig wäre, um die eisige Rinde zu schmelzen, die zwischen ihr und ihm und dem, was er suchte, stand. Gefühlsmäßig war er sich vieler Dinge bewußt, die sie und ihn betrafen, wenn er es auch nicht mit der ganz natürlichen Einfachheit
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