Jahrmarkt der Unsterblichkeit
ließest.»
Clary erwiderte mit einer Leichtigkeit, die sie nicht empfand, da sie über Sears’ Selbsteinschätzung jämmerlich erschrocken war. «Ach, du weißt doch alles über mich. Du hast es schon in San Francisco erraten. Ich bin ein Feigling und vermutlich ebenfalls ein Produkt der Zeit: ein Mädchen, das auf Sicherheit setzt. Das hat mir meine Mutter gepredigt. Sie sagte, es gebe nichts, was das Geld ersetzen könne. Bei uns reichte es nie. Vater war Angestellter und trug einen weißen Kragen; er starb an dem Kampf, diesen Kragen rein zu halten. Meine Kindheit bestand daraus, mir Dinge zu wünschen, die ich nie bekommen konnte. Jetzt habe ich sie.»
Danach saßen sie eine Weile schweigend da und sahen sich über den unüberbrückbaren Abgrund ihrer Schwächen hinweg an. Schließlich fragte Clary: «Und was geschieht jetzt?»
«Fahr zurück, sprich mit Hannah — dann hast du’s hinter dir.»
«Und dann?»
Sears fragte: «Hast du noch niemals eine Stellung verloren?»
Clary schüttelte den Kopf. «Nein. Aber ich glaube, dafür, daß es das erste Mal ist, habe ich nicht einmal allzuviel Angst. Aber gibt es keine Möglichkeit, Hannah zu schonen?»
«Schonen?»
«Ich weiß, sie ist grausam und unbarmherzig im Geschäft. Ich habe manches von dem Elend gesehen, das sie verursacht hat. Es würde mich nicht kümmern, wenn sie mit gesetzlichen Mitteln um ihr Geld gebracht würde. Aber mit ihrer fixen Idee ist sie krank und schutzlos wie ein Kind.»
Sears nickte. «Na schön. Ich werde es irgendwie schaffen. Kopf hoch. Ich werde mich um die Sache kümmern.»
Doch als sie ins Meggido-Hotel kamen, um die unangenehme Sache gemeinsam durchzustehen, und zu Hannahs Appartement hinaufgingen, hörten sie, daß die alte Frau bereits nach ihnen gefragt hatte; und sehr bald stellte sich heraus, daß etwas geschehen war, womit Sears auch nicht fertig werden konnte.
1 6
Siehe, der Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde.
JAKOBUS 5, 7
In dem Zimmer, das Hannah als Büro benutzte, befanden sich drei Menschen. Der eine war Hannah Bascombe selbst: aufgerichtet, gebieterisch, triumphierend saß sie an ihrem Schreibtisch und barst beinahe vor Energie und Erregung. Der zweite war Ben-Isaak, wie alle jungen Israelis nun in Khakihemd, Shorts und Kniestrümpfen; forsch und soldatenhaft stand er in der Nähe von Hannah. Der dritte war ein ziemlich sonderbar aussehender alter Herr, dessen Kopf zu groß für den Körper war; er hatte jedoch die freundlichsten und leutseligsten blauen Augen; trotz seiner bäuerlichen Arbeitskleidung, der derben Schuhe und der braunen schwieligen Hände, die von harter Arbeit sprachen, erschien er in diesem Zimmer doch nicht fehl am Platz.
Er erhob sich, als die beiden eintraten, und zeigte dabei einen stämmigen, mächtig gebauten Körper, die Schultern leicht gerundet, aber die Haltung wachsam und energisch. Das graue Haar war auf dem Schädel kurz geschoren und über der Stirn nach klassisch-römischem Vorbild geschnitten. Er konnte sowohl Bauer als auch Kaiser sein. Er trug einen kleinen kurzgehaltenen Schnurrbart, das Kinn dagegen glattrasiert und vorgeschoben, nicht aus Grausamkeit, sondern in eifrigem Interesse. Es war ein Kinn, das überall dabeisein wollte oder sich stets in bester Laune irgendwo eindrängte.
Hannah rief: «Kommt herein, kommt herein! Miss Adams, dies ist Dr. Nathanael Levi, Ben-Isaaks Onkel.»
Dr. Levi lächelte einnehmend und sah dabei aus wie ein liebenswürdiger Kobold. «Welch reizende junge Frau», sagte er. «Ich heiße Sie in Israel willkommen.» Dann fuhr er mit einem Blick auf seine Finger ein wenig verlegen fort: «Ich möchte Ihnen meine Hand nicht anbieten. Vor ein paar Stunden habe ich noch Winterkartoffeln ausgegraben und Erbsen gesteckt.»
Hannah beendete die Vorstellung: «Und dies, Dr. Levi, ist Mr. Joseph Sears, der Leiter meiner Expedition.»
Dr. Levis Lächeln war um nichts weniger freundlich, als er sich Joe zuwandte. «Ach ja, Mr. Sears. Natürlich. Sie sind der Mann, der auf die gescheite Theorie über die Langlebigkeit der Patriarchen gekommen ist. Ben-Isaak hat mir viel von Ihnen erzählt.» Seine Stimme war tief, kultiviert und angenehm, sein Englisch fehlerlos bis auf eine leichte Spur eines nicht identifizierbaren Akzents, der ihr nur größeren Reiz verlieh. Diesmal machte er kein Aufhebens vom Zustand seiner Hände, und Sears spürte einen kräftigen Druck.
Hannah Bascombe sagte: «Dr. Levi ist ein ebenso freundlicher wie
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