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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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niedriger Zypressen umgeben, die in der Dunkelheit wirkten wie die glatten, stattlichen Säulen einer Tempelruine. Am Rand des Plateaus wuchsen stachlige Kakteen; von dort aus blickte man auf die flachen Dächer der Häuser an der unten liegenden Straße.
    Hannahs Wohnwagen stand an einem Ende des Plateaus; der größere, den die Männer benutzten, auf der entgegengesetzten Seite im Schatten.
    Hannah hatte sich von Dr. Levi überreden lassen, das Hotel zu verlassen und zu den Höhen über der Stadt hinaufzufahren. Er hatte mit jener ruhigen Zuversicht, mit der er stets sprach, als ob jeder das gleiche glauben müsse wie er, gesagt: «Außerhalb der Stadt ist es kühler, und Sie werden sich dort wohler fühlen. Gerade über der letzten Terrasse steht ein alter Zypressenhain. Und wenn Sie nichts anderes davon haben, dann werden Sie wenigstens Nazareth im Licht der Sterne sehen.»
    «Und was könnte ich sonst davon haben?»
    «Den Herzschlag von Nazareth spüren.»
    Hannah ging hinaus und setzte sich auf die Treppe des Wohnwagens. Der Mond schien nicht, doch das Licht der Sterne war so intensiv, der strahlende Baldachin so nahe, daß sanfte Schatten geworfen wurden und man Gegenstände am jenseitigen Hang unterscheiden konnte — weiße Gebäude, ein schlanker Turm, ein Ölbaumhain, durch den sich eine Straße wand.
    Unmittelbar unter ihr, fast zu ihren Füßen, fiel die Stadt in Terrassen ab; sie konnte eine Straße mit Kopfsteinpflaster sehen, steinerne Wohnhäuser mit vergitterten Fenstern und Blumen, die auf den Dächern in Schalen wuchsen.
    Als ihre Augen sich an die Dunkelheit und das Sternenlicht gewöhnt hatten, erblickte sie immer deutlicher die sanften Konturen der Hügel, von denen die Stadt umgeben war, von den tiefen Schatten der Schluchten, den kastenförmigen Häusern, hier und da von dem reinen Halbkreis einer Kuppel und dem schwachen Glühen einer Lampe hinter einem Fenstervorhang unterbrochen.
    Es war völlig still.
    Hannah spürte, daß Dr. Levi neben ihr in der Dunkelheit stand; das Haupt auf die Brust gesenkt, schaute er auf die friedliche Szene hinab.
    Sie wartete, daß er spräche, doch er schwieg viele Minuten lang. Dann endlich sagte er: «Dies ist nun Nazareth.»
    Und weiter sagte er: «Ganz ähnlich war es, als er die Stadt betrachtete... Bei Nacht war sie von dem gleichen Frieden erfüllt. Er liebte Nazareth.»
    Mehr sprach er nicht, und als sie wieder aufblickte, war er verschwunden.
    Das Schweigen wurde von Musik unterbrochen, die aus der Nähe zu kommen schien. Irgend jemand hinter einem der vergitterten Fenster spielte auf einer Rohrflöte, leise und voller Süße, als ob die Seele sprechen müßte, weil der Abend so ruhig und schön war.
    «Er liebte Nazareth...» Hannah wiederholte den Satz, und sie atmete tief die Nachtluft ein, roch den Duft von Oleander und Rosen und wußte, daß irgendwo der Tau auch auf Geißblatt leuchtete und daß andere Gerüche aus der schlafenden Stadt aufstiegen — unbekannt, orientalisch, beißend wie Weihrauch.
    Wo der Himmel an die gegenüberliegenden Hügel stieß und die Sterne wie Ornamente durch aufrechte Zypressen und verkrümmte Ölbäume schienen, gab es eine Bewegung, und ein Strom weißer Gegenstände floß den Pfad hinab. Hannah hörte das ferne Bellen eines Schäferhundes; und dann sah sie auch die Gestalt des Hirten, der spät mit seiner Herde aus den Bergen zurückkehrte und sie nach Haus führte.
    Hannahs Herz war bewegt.
    Jäh war er beschworen worden, obwohl sein Name nicht ausgesprochen wurde. Dies war die Heimat des Jesusknaben gewesen. Hier hatte er als Kind gelebt.
    Die Bäume, die Schluchten, die unveränderlichen Felsen, die ausgetretenen Pfade, der Himmel, der sich neigte, um seine Berge mit Sternen zu schmücken, hatten auch seine Augen erfüllt und sein Herz erfreut, und in den Geheimnissen des Firmaments, im Duft der Blumen und in der Unschuld der Erde hatte er die Liebe und Harmonie Gottes gelesen.
    Hier hatte er einstmals gestanden, vielleicht gerade hier, wo sie stand, hatte die gleiche Luft geatmet, die gleichen Klänge gehört und die gleichen Bilder betrachtet. Er, der so lange nichts gewesen war als ein Name auf einer Buchseite und ein Murmeln auf den Lippen, kam ihr nun ganz nahe, ein großäugiges Kind, ein sanfter Mann, erfüllt von der Liebe des Vaters, dessen Geschenk dies alles war. Tränen traten Hannah in die Augen, und sie begann zu weinen.
    Das Weinen löste etwas in ihr, was wie ein harter trockener Knoten in

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