Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
keine andere als Tiberias am Westufer, die als Kurort zu neuem Leben erwachte. Außer dem Hain von Ain Tabigha war kaum ein Baum zu sehen, und doch gab es zur Zeit Jesu den Schatten von Eiche und Nußbaum, Palme und Feige, Sykomore, Platane, Terebinthe und Johannisbrotbaum; und überall am Ufer entlang hatten wilde Blumen und Sträucher geblüht. Der jetzt fast verlassene See aber war damals mit den dreieckigen weißen Segeln kleiner Fischerfahrzeuge bedeckt.
    Wie betriebsam das Leben hier gewesen sein mußte, und wie es sich in Dr. Levis Erzählung widerspiegelte! Durch ihn hörte Hannah, wie windgetriebene Boote das Wasser rauschend teilten, wie die Seile knarrten und die Ruder in den Dollen klapperten, wie Rufe über das Wasser hallten und das Hämmern der Schiffszimmerleute, die Geräusche der Böttcher und Kalfaterer erklangen. Sie sah die Anlegestege, wo die silbern schimmernden Fänge an Land gebracht wurden; sie zappelten im Sonnenschein, wurden feilgeboten und verkauft und von Eseln und Ochsen in Körben zu den Einsalzereien davongetragen.
    Griechen, Römer, Heiden und Juden hatten sich hier gemischt; Straßen wimmelten von Verkehr, und die Städte am Seeufer waren ein Babel. Durch diese Szenerie und durch diese Landschaft war der Menschensohn mit seiner Botschaft gewandert.
    Hannah Bascombe und Dr. Levi gingen eines Tages zu dem Ort, wo man Kapernaum vermutete, und kamen zu den Ruinen der dortigen Synagoge, einem gepflasterten Rechteck aus glatten, quadratischen Steinblöcken, mit Trümmern gestürzter Säulen, Gesimsen und kunstvoll gemeißelten Bruchstücken, die wirr durcheinanderlagen.
    Hannah fragte in einer Art gehetzter Unruhe: «Hat Jesus hier gepredigt?»
    Statt einer Antwort stellte Dr. Levi eine Frage: «Sagt der Ort Ihnen etwas?»
    Hannah blickte sich eine Weile mit leidenschaftlicher Gespanntheit um, als lausche sie, und versuchte gleichzeitig, das Gebäude zu rekonstruieren. Dann schüttelte sie verneinend den Kopf.
    Manche Steine besitzen eine unentrinnbare Beredsamkeit, andere sind stumm. Hier schien Jesus nicht im Geist oder in der Erinnerung anwesend zu sein.
    Dr. Levi sagte: «Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.»
    Er führte sie auf einem schmalen Pfad vom See weg, nach Nordosten, durch eine flache Senke im allmählich ansteigenden Gelände bis zu einem Zypressenhain; die Bäume standen allein in einer Form, die eigentlich keine Form war; es schien, als ob sie die Sämlinge von anderen Bäumen wären, die einst vor langer, langer Zeit von Menschen hier gepflanzt worden waren, um etwas einzuhegen und zu umschließen.
    Doch auf den ersten Blick schien jetzt nichts mehr dazusein, was der Einfriedigung bedurfte, höchstens ein kleiner flacher Hügel mit üppigem Gras und bunten Blumen; er hatte eine seltsame Gestalt, hier und da war er lang und flach angehoben wie ein Sarg, dort wieder rund wie ein altes Hügelgrab; dazwischen junges Gesträuch, Baumschößlinge und frisches, frühlingshaftes Grün.
    Doch am äußersten Ende des Zypressenhains, fast unsichtbar vor dem Hintergrund der hohen Stämme, hob sich ein einzelner glatter Pfeiler aus dem Boden; auf seiner Spitze lag ein Stück Gesims, dreieckig und von einfacher, schöner und harmonischer Form.
    Mit mehr Deutlichkeit, als wenn dort sichtbare Ruinen gestanden hätten, vervielfachte sich diese einzelne Säule im Geist der Betrachter, und das Dreieck hob sich aufwärts und bildete die edle Front einer einfachen Anbetungsstätte.
    Sie füllte den Hain mit ihrer Würde und ihren Geheimnissen. Es war ein vergessener Platz; doch hier sprach die Vergangenheit mit einer Beredsamkeit, die unüberhörbar war; unter dem Gras lagen heilige Dinge.
    Hannah rief: «Was ist dies für ein Platz? Ist er hierhergekommen?»
    Dr. Levi nickte. «Ja», erwiderte er einfach, «unter unsern Füßen liegen die Reste der Synagoge von Kapernaum. Davon bin ich überzeugt.» Er richtete sich auf und breitete die Arme aus zu einer umfassenden Geste, während er tief einatmete. «Nach allem, was ich fühle, muß es so sein.» Dann lächelte er Hannah zu, als wolle er sich entschuldigen, weil das Gefühl ihn übermannt hatte. «Und auch nach dem, was ich weiß. Es ist meine Entdeckung, und eines Tages werden wir hier suchen. Es gibt Beweise dafür, daß sich der See damals fast einen Kilometer weiter nach Norden erstreckte. Kapernaum war keine jüdische, sondern eine galiläische Stadt. Der Tempel, in dem sich die fremden Juden trafen, um über ihren Gott zu

Weitere Kostenlose Bücher