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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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ihrer Brust lag, schon so viele, viele Jahre; und nun stand sie da, eine alte, einsame Frau, die niemals zärtliche Liebe, Zuneigung oder Verständnis erfahren hatte; sie schaute auf Nazareth hinab, weinte vor Liebe und Mitgefühl für einen Jesus, der zum erstenmal nach ihr gegriffen und seine Hand auf ihr Herz gelegt hatte.
    Sie weinte um des Herrn willen, den sie gefunden hatte, um seines Friedens willen, der über der schlafenden Stadt lag und sie mit seiner Gegenwart erfüllte; sie weinte, weil sie eine elende Sünderin war, weil sie ihr Leben in dem Streben nach der Eitelkeit der Macht weggeworfen hatte und weil es gut war, die Tränen die harte, spröde Schale aufweichen zu lassen, hinter der sie ihr einsames unglückliches Herz so lange verborgen hatte. Sie wünschte, sie könnte ein ganzes Meer von Tränen weinen, um die Füße Gottes zu waschen...

    Sie hörte nicht, daß der Wagen herauffuhr und Clary, Ben-Isaak und Sears sich ihr näherten.
    Sears sagte: «Ist irgend etwas geschehen? Sind Sie krank, Miss Bascombe? Wo ist Dr. Levi? Was hat er getan?»
    Ben-Isaak kam zu ihr gelaufen, kniete nieder und legte seine Arme um sie. «Im-ma... Sie weinen...»
    Clary fragte besorgt: «Miss Bascombe... Hannah... was ist denn? Ist etwas falsch?»
    «O nein», erwiderte Hannah Bascombe, «zum erstenmal ist etwas richtig.»
    Dr. Levi trat aus der Dunkelheit. «Ach, Sie sind gekommen.»
    Sears sagte ärgerlich: «Was haben Sie getan? Miss Bascombe ist sehr erregt. Was haben Sie zu ihr gesagt?»
    «Ich erinnere mich meiner Worte nicht mehr genau, aber sie hatten etwas mit dem einen zu tun, der seine Kindheit hier verlebt hat.»
    Wie immer brachte Dr. Levis Gewohnheit, eine überlegte und zurückhaltende Antwort auf eine aggressive Frage zu geben, Sears zur Erbitterung. «Was treiben Sie nun wieder für ein Spiel? Weshalb haben Sie sie hier heraufgebracht?»
    «Um ihr das wahre Nazareth zu zeigen. Sie hat es gesehen. Vielleicht würden Sie, wenn Sie hinschauen wollten, es ebenfalls sehen...» Er ging in die Dunkelheit davon.
    Clary rief: «O Joe! Er hat wirklich recht. Wir hätten gleich hier heraufkommen sollen. Sieh doch nur, spür’s und atme — gebrauch deine Augen und Sinne! Greift es nicht nach dir?»
    Sears blickte von dem sternerhellten Gesicht des Mädchens zu der sternbeleuchteten Stadt und zu den fernen Hügeln. Sie war ein Teil der alles durchdringenden Schönheit, die auch in ihn einströmte und Ärger, Furcht, Angst und Gekränktheit vertrieb... Er rief all seine Widerstandskraft auf, um sich dagegen zur Wehr zu setzen. Er spürte, wenn er hier blieb, würde er weich werden, und wenn das geschah, war er verloren.
    Er erwiderte: «Nach mir nicht, mein Kind. Es ist ein langer Tag gewesen. Gute Nacht.» Er schlenderte zum Wohnwagen, wich den interessierten, forschenden Augen Dr. Levis aus und ging ins Bett. Erst sehr viel später erkannte er, daß er von einem Feld vertrieben worden war.

20

    Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit.
    JOHANNES 6, 51

    Hinter Nazareth kam die Karawane noch langsamer voran. Obwohl nicht darüber gesprochen worden war, schien es doch, als ob die fiebernde Ungeduld nicht mehr so zu spüren wäre. Dieser Wandel in der Atmosphäre beunruhigte Sears, weil er ihn nicht begriff. Es war ihm bisher noch immer nicht gelungen, die Leitung der Expedition wieder in seine Hände zu bekommen.
    Sie folgten der alten Straße von Nazareth durch das Dorf Kefr Kenna, das im Evangelium Kana heißt und der Schauplatz des ersten berichteten Wunders von Jesus war; der Ort lag zwischen den Doppelhörnern des Chattin, wo Jesus nach der Legende seine Jünger wählte. Aus den Hügeln Galiläas fuhr der Wagenzug hinab in das weite Tal des Meeres, das schimmernd dalag. Die Wagen rollten weiter, vorüber an Majdal, das einst Magdala hieß, an dem niedrigen, von Eukalyptusbäumen gekrönten Hügel, wo früher Bethsaida gelegen haben sollte, und dann am Seeufer entlang bis zu dem verschwundenen Kapernaum.
    Als die Abenddämmerung herabsank, hielt die Karawane an einer kühlen, grünen Oase, der nordwestlichen Ecke des Tiberiassees gegenüber, wie das Galiläische Meer heute genannt wird. Hier stand ein Hain mit breitausladenden, dichtbelaubten Bäumen, rotem und weißem Oleander und vielen anderen Blütensträuchern, Mimosen und Palmen; darin fanden sie ein deutsches katholisches Hospiz und eine kleine Kapelle, wo Pater Hofstätter, ein alter

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