Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
sprechen, muß also sehr einfach gewesen sein — vielleicht so wie dieser...»
    Der Zauber, dem Hannah schon so oft erlegen war, breitete sich wieder aus. Das war das ständige Entzücken in Palästina, daß ein sich wölbender Erdhügel, ein blauer See, ein zerbrochener Stein plötzlich reden konnte und sagte: «Jesus hat mich gekannt. Seine Hand ruhte auf mir, seine Augen erfreuten sich an mir, der Boden unter diesem Rasen wurde einst von seinen Füßen beschritten. Von diesen Bergen donnerten die Propheten, auf diesen Straßen predigten die Menschen den einen Gott; von diesen Vorgebirgen hatten die Auserwählten ihre Visionen...»
    Hannah sagte: «Ja, Sie haben recht. Hier muß er gewesen sein.»
    Dr. Levi erwiderte sanft: «Davon bin ich überzeugt, seit ich zum erstenmal auf diesen Platz stieß.»
    Der Klang seiner Stimme zwang Hannah, den Kopf schief zu legen, wie es für sie so bezeichnend war, wenn sie nachdachte; und sie fragte: «Sie lieben ihn, nicht wahr?»
    «Wie wäre es möglich, einen so sanften und begnadeten Menschen nicht zu lieben?»
    «Und doch», erwiderte Hannah geradezu und ohne Verlegenheit, «sind Sie Jude. Ich glaubte, alle Juden leugneten und haßten Jesus.»
    «Ein häufiger Irrtum», entgegnete Dr. Levi gelassen, doch dann nahm seine Stimme Wärme und Beseeltheit an, und seine Augen wurden ungewöhnlich jung, als er fortfuhr: «Hier in Israel sind mit den Städten, die einst blühten, viele der alten Haßgefühle gestorben und begraben worden. Für Haß ist keine Zeit mehr. Die meisten von uns sind durch die Rückkehr hierher auf mehr als eine Weise befreit worden. Wir dürfen lieben, wen wir wollen. Jesus war Jude, Lehrer und Prophet. Er hat unsere alten Glaubensvorstellungen durch seinen begnadeten Geist zu so ewiger Schönheit verwandelt, daß mehr als die Hälfte der Welt sie angenommen hat als Leuchtfeuer zur Führung in der Dunkelheit. Der Mensch hat die Kluft zwischen Juden und Heiden geschaffen, nicht Jesus. Keinem ist es verboten, Liebe mit Liebe zu erwidern.»
    Hannah sagte: «Ich höre gern, wenn Sie von ihm sprechen. Es ist, als hätte bisher noch niemand mit mir über ihn gesprochen. Sie machen ihn lebendig.»
    Dr. Levi nickte ernst und sah Hannah eine Weile prüfend an. Dann fragte er: «Erinnern Sie sich, was Jesus hier gesagt hat?»
    Hannah bemühte sich, doch die Worte fielen ihr nicht ein. «Ich kann mich nicht erinnern.»
    Dr. Levi sagte: «Hier sprach er die Worte, die die Welt verwandelten.» Dann begann er zu zitieren: «Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten...»
    Die Liebe und die Kraft der Worte, vielleicht auf dem gleichen Boden wiederholt, wo sie einst erklungen waren, trieben Hannah Tränen in die Augen.
    Sie rief: «Ja — jetzt erinnere ich mich.»
    Dr. Levi sagte: «Es war noch mehr. Er sprach: »
    Hannah blickte scharf zu ihm auf, doch der alte Mann schien sich ihrer gar nicht bewußt zu sein. Sein Blick war auf die Säule der uralten Synagoge geheftet, und seine Stimme klang kraftvoll und bewegt, während er die Worte wiederholte, die Johannes Jesus zuschreibt:
    «Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, also, wer mich isset, der wird auch leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist; nicht, wie eure Väter haben Manna gegessen und sind gestorben: wer dies Brot isset, der wird leben in Ewigkeit.» Und danach sagte Dr. Levi nichts mehr.
    Hannah wandte sich ab. Sie konnte es in diesem Augenblick nicht ertragen, ihn anzusehen. Denn nun hörte sie in ihrem Innern die letzten Worte, die Christus bei dieser Gelegenheit gesprochen hatte — und sie hatte Dr. Levi ausgelassen:
    «Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben.»
    Und dann klang es in ihr, fast wie ein Echo: «Wer dies Brot isset, der wird leben in Ewigkeit...»
    «Dr. Levi!» Der Schrei schien sich aus Tiefen losgerissen zu

Weitere Kostenlose Bücher