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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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sofort zurück!» Doch als er sie endlich erreicht hatte, sie packen konnte, ihr Handgelenk umfaßte und sie zurückzuzerren versuchte, klammerte sie sich mit dem andern Arm an einem Baum fest und schrie: «Nein, Joe, ich kann es nicht ertragen. Ich gehe nicht ohne ihn zurück. Hilf mir, ihn zu tragen.»
    Joes Kriegserfahrung ließ ihn nicht im Stich, und er riß sich zusammen. Was machte es denn aus, ob es sie erwischte, während sie den Jungen trugen oder während sie ohne ihn in die Deckung zurückkrochen? Die Chancen waren in beiden Fällen ziemlich gleich, da sie sich nun ohnehin in der Schußlinie befanden. Sears bückte sich, stemmte Schulter und Arm unter den Verwundeten, schwankte und richtete sich allmählich auf, den Jungen wie einen Toten auf der Schulter.
    Er fauchte Clary an: «Halt dich dicht hinter mir, wenn wir zurückgehen, du idiotisches Ding. Los, komm!» Nun hatte sie wenigstens von einer Seite Schutz. Auf dem Weg den Hang hinab spürte er plötzlich, wie den Jungen ein Schauder überlief und wie sein Bein zuckte; vermutlich war er noch einmal getroffen worden und hatte so eine Kugel aufgehalten, die sonst vielleicht das Mädchen getroffen hätte.
    Als sie den Schutz des Felsblocks wieder erreicht hatten, befanden sich Hannah und Dr. Levi bereits dort. Joe legte den Araber behutsam auf den Boden und wurde sich, während er es tat, bewußt, daß das Feuer nachzulassen schien und nur noch vereinzelte Schüsse fielen.
    Dr. Levi kniete neben dem Araber nieder, lockerte ihm die Kleidung und schützte mit dem eigenen Körper Hannah vor dem Anblick der gräßlichen Bauchwunde und der, die das Knie zerschmettert hatte.
    Doch die entsetzten, flehenden Augen des Jungen oder die schrecklichen Verzerrungen, die in einem Schmerzenskrampf nach dem andern über die kindlichen Züge fuhren und sie aller Menschenähnlichkeit beraubten, konnte er nicht vor ihr verbergen.
    Sears sagte grob zu Clary: «Sieh nicht her! Der Junge ist erledigt. Er macht’s nicht mehr lange!»
    Hannah rief: «Worauf warten Sie denn noch? Haben Sie kein Verbandzeug?»
    Dr. Levi erwiderte: «Nein, es hat keinen Sinn. Es ist keine Hoffnung mehr. Er übersteht es nicht.»
    Die Wirkung seiner Worte auf Hannah war gräßlicher, als Sears es sich je hätte vorstellen können. Sie fuhr hoch, und einen Augenblick lang sah sie mit der grimmig verkniffenen Linie um Mund und Kinn aus wie der Tod selber, während ihre Augen in einem fanatischen Feuer funkelten.
    Sie schob ihr Gesicht ganz nahe an das von Dr. Levi und schrie: «Was haben Sie gesagt — er kann nicht leben?»
    Der alte Mann sagte leise. «Seien Sie still. Er stirbt.»
    Doch Hannah schrie ihn an: «Nein! Nein! Ich will es nicht! Hören Sie, was ich Ihnen sage? Ich bin nicht hierhergekommen, um den Tod zu finden! Sie müssen ihn aufhalten, hören Sie?» Ihr Koller verlieh der Szene eine makabre Wirkung. Unbewußt rutschte Clary neben Sears, und er legte den Arm um sie, um ihr Zittern zu beruhigen.
    Dr. Levi stand auf, griff nach Hannahs Hand und hielt sie in der seinen. Er sagte: «Schauen Sie ihn an! Sehen Sie, was geschieht, und fürchten Sie sich nicht.»
    Der Junge hatte aufgehört zu schreien. Seine Augen wurden glasig. Er blickte sie noch einmal alle flehend an, und währenddessen sprach Dr. Levi sanft und tröstend zu ihm wie ein Vater zu seinem Kind.
    Die Qual verschwand aus dem Gesicht des Arabers. Es wurde wieder glatt und oval, jünger und unschuldiger. Ein kleines Lächeln rührte an die Mundwinkel, und danach kam der Friede.
    «Sehen Sie», sagte Dr. Levi, «der Tod kann auch als Freund kommen.»
    Plötzlich zog Hannah ihre Hand aus der seinen und verbarg ihr Gesicht. Sie setzte sich auf einen Stein, von ihnen abgewandt, gab jedoch keinen Laut von sich.
    Clary weinte leise. «Der arme Junge!» Doch Sears sagte barsch: «Dem geht’s jetzt gut.» Damit ließ er den Arm von ihrer Schulter fallen.
    Durch die Schlucht kamen Männer näher. Sears sah, daß es Ben-Isaak war, der mit Schlomos Gruppe zurückkehrte, während Ed Avery mit seinen Leuten gleichzeitig an der andern Seite erschien.
    Sears fragte: «Ist es vorbei? Habt ihr sie abgewiesen?»
    Ben-Isaak erwiderte: «Für den Augenblick. Sie haben sich zurückgezogen. Aber wir wissen nicht, was sie vorhaben. Es ist noch nicht zu Ende.» Für den toten Araber hatte er kaum einen Blick.

25

    Denn siehe, die Gottlosen spannen den Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen.
    PSALM 11, 2

    Eine beendete Schlacht bringt ein

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