Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Öffnung, so eng und niedrig, daß ein Mann sich tief bücken mußte, um überhaupt hineinzugelangen.
Auf den ersten Blick wirkte es überhaupt nicht wie der Eingang zu einer Höhle, doch als Dr. Levi sich beugte und mit der Lampe hineinleuchtete, sah er, daß der Zugang zwar sehr steil abwärts führte, dann jedoch erheblich weiter zu werden schien.
Dr. Levi fragte den Jungen, ob es wirklich diese Höhle sei, und als dieser nickte, kniete er nieder und rief in die Öffnung: «Sears! Joe Sears!» Clary hockte sich neben ihn und rief ebenfalls.
Sie lauschten, hörten jedoch keine Antwort. Aber die Ohren des Jungen waren vielleicht feiner als die ihren, denn der Ausdruck des Entsetzens trat wieder auf sein Gesicht; er fuhr herum und floh das schmale Felsband hinunter, über das sie heraufgekommen waren.
Clary fragte: «Was hat das zu bedeuten? Ich habe nichts gehört. Glauben Sie, daß der Junge Joe hier hat hineingehen sehen?»
Dr. Levi erwiderte: «Es ist das einzige, woran wir uns halten können. Ich werde nachsehen. Wollen Sie hier warten?»
«Ich möchte mitkommen.»
Dr. Levi sagte: «Man braucht eine andere Art von Mut, eine Höhle zu erforschen. Manche Menschen können die Enge, den Luftmangel und die Dunkelheit nicht ertragen.»
Clary erwiderte kurz: «Ich habe keinen Mut. Ich habe nur den Willen zu gehen. Wenn er hier ist, braucht er vielleicht Hilfe.»
Dr. Levi nickte. «Benutzen Sie Ihre Taschenlampe jetzt noch nicht», sagte er. «Wir wollen nicht gleichzeitig beide Batterien verbrauchen, solange meine ausreicht. Bleiben Sie dicht hinter mir. Ich gehe voran.»
Doch zunächst suchte er in seiner Tasche und holte ein Knäuel Bindfaden heraus, dazu einen kleinen Stahlhaken. Er schlug das Metall in einen Spalt an der Mündung der Höhle und befestigte daran das Ende des Bindfadens.
Clary sagte: «Sie denken auch wirklich an alles.»
Er lächelte: «Das ist eine unerläßliche Ausrüstung für Höhlenforscher. Gehen Sie niemals in eine Höhle, ohne den Rückweg zum Eingang zu sichern. Das ist nicht mehr als gesunder Menschenverstand.»
Sie sagte rasch: «Armer Joe! — Falls er hierhergekommen ist, wird er daran nicht gedacht haben.»
«Das mag stimmen.»
«Dann müssen wir uns beeilen.»
«Vor allen Dingen müssen wir Ruhe bewahren.»
Er quetschte sich durch die enge Öffnung, und Clary folgte ihm. Dann rollte er den leichten Bindfaden hinter sich ab, untersuchte sorgfältig das vor ihm liegende Terrain mit der Taschenlampe und begab sich den schmalen Abstieg hinunter.
Vorsichtig bewegten sich die beiden vielleicht hundert Meter weit durch eine Reihe kleiner Kammern, die eigentlich nicht mehr waren als ungleichmäßige Risse im Felsen, entstanden durch ein Erdbeben oder durch sonstigen Druck. Die Luft wurde schwer und modrig. Dr. Levi wirkte besorgt. Mehrmals blieb er vor Abzweigungen vom Haupttunnel stehen, ehe er weiterging. Plötzlich hob er die Hand und hielt inne, um zu lauschen.
Ein ferner, erstickter Ton kam durch den Tunnel, doch ob er aus menschlicher oder tierischer Kehle stammte, ließ sich nicht erkennen. Dr. Levi sagte ernst zu Clary: «Ich glaube, wir nähern uns dem Ende unserer Suche. Fassen Sie Mut!»
Er ging abermals weiter; der Gang senkte sich allmählich und bog dann jäh um die Ecke, wo er in einer kleinen Kammer — wie ein Raubtierlager — endete.
Dort sahen sie in dem gelben Strahl von Dr. Levis Taschenlampe Joe Sears. Er hockte auf Händen und Knien, den Rumpf gehoben, den Kopf auf den ungleichmäßigen Felsboden gepreßt, wie ein Boxer, der kopfüber auf die Matte gestürzt ist und eben den ersten mühsamen und schmerzlichen Versuch unternimmt, sich zu erheben.
Sein Anzug war zerrissen, schwarz von getrocknetem Blut die Hände, die wohl an den scharfen Felsen der Gänge aufgeschunden worden waren; über einem Auge hatte er eine Wunde, und das Blut rann ihm über Gesicht und Hals und beschmierte seinen Kragen. Die Lippen waren zerschlagen und dunkel. Er versuchte, sich mit der linken Hand hochzustemmen. Die andere umklammerte eine Flasche. Zu seinen Füßen lag eine zerbrochene Taschenlampe.
Clary rief: «Joe!» und stürzte vorwärts, doch Dr. Levi hielt sie zurück.
Langsam drehte Sears den Kopf und sah sie, doch die Augen, die aus der Maske des zerschundenen Gesichts starrten, waren glasig, leer und verständnislos. Dennoch schien er sich ihrer Gegenwart bewußt zu sein, denn er hob langsam den Kopf vom Boden, stützte sich auf die Knie und richtete sich
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