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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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allmählich auf; dann stand er breitbeinig und schwankend da und starrte ins grelle Licht der Lampe.
    «Joe! Du bist verletzt!» Clary trat in den Lichtkegel. Diesmal hielt Dr. Levi sie nicht zurück.
    Sears erkannte sie. Plötzlich schrie er, und seine Stimme hallte gräßlich in der engen Kammer wider.
    «Zum Teufel, was willst du hier? Bist du mir gefolgt, weil du auch was von dem Zeug wolltest? Aber es ist nichts mehr da, Veilchenauge. Ich habe alles aufgegessen. Geh nur schön wieder zu deinem verdammten Soldatenjungen.»
    Clary sah Dr. Levi entsetzt und flehend an. «Er ist irr!» flüsterte sie. «Er hat den Verstand verloren. Was sollen wir tun?»
    Dr. Levi trat näher und richtete den Strahl der Lampe für einen Moment unmittelbar in die Pupillen von Sears’ Augen. Dann beugte sich der Wissenschaftler vor und schnupperte. Er fühlte sich plötzlich überaus erleichtert. «Nein», sagte er laut. «Er ist nicht irr. Er ist nur betrunken.»

31

    Und das ist die Verkündigung, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen, daß Gott Licht ist, und in ihm ist keine Finsternis.
    I. JOHANNES 1, 5

    Das Wort hallte hohl von den tropfnassen Wänden der Felskammer zurück. Sears’ umherirrender Blick fand jetzt den von Dr. Levi. Er kläffte ihn an: «Recht haben Sie, Sie Sauertopf, ich bin betrunken — sternhagelvoll, stinkbesoffen! Und was kümmert Sie das, Sie und Ihre gottverdammte Frucht vom Baum des Lebens? Wollen Sie wissen, wo die ist? In mir drin. Ich hab’ sie genossen. Das ganze Zeug. Ich kann nicht sterben. Deshalb habe ich mich betrunken, und ich werde mich noch mehr betrinken.»
    Dr. Levi sagte: «Manch einer wäre glücklich, wenn er überzeugt wäre, er könne nicht sterben.»
    Sears brach in ein entsetzliches Gelächter aus. «Sie haben gut reden, Levi: Sie können an der nächsten Haltestelle aussteigen. Aber ich muß für die nächsten fünfhundert Jahre auf diesem Planeten mitfahren.»
    Dr. Levi fragte: «Was ist denn plötzlich gegen die Unsterblichkeit einzuwenden?»
    Sears richtete die blutunterlaufenen glasigen Augen auf den alten Mann und schrie aus Leibeskräften: «Was einzuwenden ist? Ich selber! Ich, Sears! Sie verdammter alter Narr! Sears, der große Schwindler und Angeber. Ich kann den Kerl nicht mehr sehen und hören. Was soll ich in hundert Jahren anfangen?»
    Dr. Levi nickte und sagte: «Eine Minute echter Reue auf Erden ist mehr wert als...»
    Sears’ wütendes Kläffen unterbrach ihn. «Zum Teufel! Wer bereut hier? Nicht die Bohne bereue ich. Ich halte den Sears bloß für einen erbärmlichen Kerl. Wenn ich trinke, vergesse ich, wovor ich so entsetzliche Angst habe, dann vergesse ich auch Veilchenauge und ihren Schießgewehrjungen und den ganzen verdammten Mist. Prost also!»
    Er zog mühsam den Korken aus der Flasche, grinste die beiden töricht an und hob die Flasche an die Lippen. Dort hielt er sie einen Augenblick, doch seine Kehle machte keine Schluckbewegung; die Flasche war leer. Offenbar schon eine ganze Weile, denn seine Trunkenheit begann bereits nachzulassen.
    Sears hielt die Flasche vor die Augen, stierte darauf und sagte: «Jesus, was mache ich denn nun?» Dann warf er sie an die Wand, so daß sie zerbrach. Bei dieser Anstrengung fiel er wieder vornüber auf Hände und Knie, blieb eine Weile so hocken und schüttelte den Kopf wie ein Tier; Tränen in den Augen kniete Clary neben ihm nieder, doch sie berührte ihn nicht. Sie wußte im Augenblick nicht, was sie tun oder sagen sollte.
    Dr. Levi setzte mit leiser Stimme sein gelassenes Verhör fort. «Sie haben also die Frucht vom Baum des Lebens verzehrt?» fragte er.
    Sears parodierte die Sprechweise des alten Mannes auf scheußliche Art, als er wiederholte: «Sie haben also die Frucht vom Baum des Lebens verzehrt? Natürlich habe ich sie gegessen. Was, zum Teufel, denken Sie denn sonst? Ich bin ein kluger Bursche, nicht wahr? Bei dieser Geschichte sollte keiner Joe Sears übers Ohr hauen.»
    Dr. Levi fragte: «Wer wollte das denn, Joe?»
    Sears sah ihn unheilvoll an. «Jetzt steh’ ich da in der Kälte. Hannah hat’s nicht gegessen, deshalb werde ich nicht bezahlt. Alle haben was bekommen, bloß ich nicht, stimmt’s? Veilchenauge hat ihren Soldatenjungen, solange der darauf verzichtet, Araber mit seinen verdammten Handgranaten zu befeuern. Hannah hat ihre Religion, Ben-Isaak eine Heimat, und Sie Ihre verdammten Rüben und Karotten. Und ich wische mir die Nase. Ich war der Gimpel.»
    Dr. Levi erwiderte:

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