Jake Djones und die Huter der Zeit
sie da anstarrte, nicht der kalte, stets übel gelaunte und unnahbare Jupitus Cole zu sein, sondern ein sensibler, ja geradezu zerbrechlicher Feingeist, doch da hatte sich sein Gesichtsausdruck schon wieder verhärtet.
»Warum konnten Sie letzte Nacht nicht schlafen? Worüber ⦠was hat Ihnen solche Sorgen bereitet?«, hörte Rose sich fragen.
Es dauerte eine Weile, bis Jupitus reagierte. »Dröge Angelegenheiten meine Arbeit betreffend, nichts weiter«, antwortete er schlieÃlich mit einem Achselzucken und lächelte sie einen Sekundenbruchteil lang an. »Wir sollten zum Bankett zurückkehren, bevor wir vermisst werden.«
Und damit machte sich Jupitus Cole auf den Weg zurück, gefolgt von einer zutiefst verwirrten Rose Djones.
19
Dorfleben
J ake drängelte sich durch die Menschenmenge aus Pendlern und Urlaubern, die sich über den Bahnhofsvorplatz der Euston Station in London wälzte. Er bahnte sich einen Weg zum Bahnsteig an Gleis Nummer fünf, wo gerade der Zug aus Birmingham ankam. Im Schritttempo fuhr er bis ans Ende des Gleises und blieb mit quietschenden Bremsen stehen.
Jakes Miene hellte sich sofort auf bei dem Gedanken, dass er jeden Moment seine Eltern wiedersehen würde. Sie waren nur vier Tage weg gewesen, aber es hatte sich viel länger angefühlt. Nie hatte er sie so sehr vermisst wie dieses Mal: ihre gut gelaunten Wortgefechte, ihren verspielten Humor, ihre Gegenwart, die er immer für selbstverständlich gehalten hatte.
Doch auf dem Bahnsteig tat sich nichts. Kein einziger Passagier stieg aus. Dann endlich öffnete sich zischend die Tür des vordersten Waggons, und Jakes Herz machte vor Freude einen Satz, als eine unsichtbare Hand einen roten Koffer auf dem Bahnsteig abstellte. Seine Eltern würden jeden Moment folgen.
Doch es stieg immer noch niemand aus. Mutterseelenallein stand der rote Koffer auf dem verlassenen Bahnsteig.
Allmählich wich Jakes Vorfreude einem unguten Gefühl. Er ging auf den roten Koffer zu und wartete darauf, dass ein Strom von aussteigenden Passagieren über ihn hinwegbranden würde, aber nichts geschah. Jake blieb stehen und begutachtete misstrauisch den Koffer seiner Eltern, dann lieà er den Blick zu der offenen Waggontür wandern und stieg zögerlich ein. Die Glastür dahinter glitt automatisch zur Seite, und Jake betrat das GroÃraumabteil.
Es war leer. Jake lief den Gang zwischen den Sitzreihen entlang und starrte ungläubig auf die leeren Plätze. Es waren zweifellos Passagiere in dem Waggon gewesen. Ãberall lagen Gepäckstücke und aufgeschlagene Zeitungen auf den Ablagen, irgendwo stand eine Plastiktasse mit dampfendem Kaffee, nur die Menschen dazu fehlten. Da sah Jake aus dem Augenwinkel etwas Scharlachrotes aufblitzen und erstarrte: Genau am gegenüberliegenden Ende des Waggons saÃ, mit dem Rücken zu Jake und vollkommen unbeweglich, eine Gestalt in Umhang und Kapuze. Jake spürte, wie eine unsichtbare Kraft ihn gegen seinen Willen zu der reglosen Gestalt zog. Endlich schaffte er es, sich umzudrehen â und sah, dass der ganze Waggon voll roter Kuttenträger war, alle starr und unbeweglich, in jeder Sitzreihe der gleiche gespenstische Anblick.
Jakes Kehle schnürte sich zu; er musste sofort raus aus diesem Zug. Er eilte auf den Ausgang zu, doch diesmal wollte sich die Glastür nicht öffnen. Er zog am Griff, aber sie war verriegelt.
Die Köpfe unter den roten Kapuzen drehten sich wie in Zeitlupe in seine Richtung und fixierten Jake. Durchs Fenster sah er, wie ein Wachbeamter den roten Koffer aufhob und auf einen Müllwagen warf. Der Mann gab ein Signal, und der Müllwagen fuhr davon.
»Warten Sie! Stopp!«, rief Jake. »Der gehört meinen Eltern.«
Er zog mit aller Kraft an dem Hebel, aber die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Hinter sich hörte er Bewegung und sah, wie eine der scharlachroten Gestalten langsam auf ihn zukam.
Ein weiterer Kuttenträger erhob sich, dann noch einer und noch einer. Wie Gespenster schwebten sie auf ihn zu, hüllten ihn ein wie ein dunkler Schatten.
Jake hob schützend die Hände vors Gesicht â¦
»Jake, wach auf!«, rief eine vertraute Stimme.
Jake öffnete die Augen und fand sich auf der mit Stroh ausgelegten Pritsche wieder, Topaz über ihn gebeugt.
»Du hattest einen Albtraum«, sagte sie sanft.
Sie fuhren gerade über eine ländliche Allee, zu beiden Seiten
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